Auf dem Weg

Wilko Austermann, Kurator. Ein Portrait

Der Weg von Kleinenmarpe, Kreis Lippe, an den Golf von Neapel mag für einen jungen Mann weit sein. Auf alle Fälle ist er abenteuerlich und alles andere als selbstverständlich. Kleinenmarpe ist ein Dorf von 141 Einwohnern, der Ortsvorsteher heißt Gustav Nullmeier und lange bevor Wilko Austermann hier 1990 geboren wurde, haben sie die alte Schule geschlossen. So mußte er in die Grundschule hinüber nach Großenmarpe. Als er dann endlich nach Neapel kam, hatte er seinen Traum gefunden. Ein Museum mit Rundblick über die schönste Bucht der Welt, das Museo di Capodimonte.

Im Fall von Wilko Austermann kein Wunder. Denn irgendwie ist dieser Junge aus Kleinenmarpe von der Kunst verhext. Mit elf Jahren war es sein sehnlichster Wunsch nach Mailand zu reisen, um den berühmten gotischen Marmordom zu sehen (und auf dessen Dach herumzuwandern). Einen Leistungskurs Kunst gab es an seiner Schule nicht. Also kaufte er ein Ferienticket und reiste per Regionalexpress nach Köln zum Dom und nach Essen und Düsseldorf in die Museen, fuhr mit dem Bus nach Detmold in die Kreisbibliothek, um Bücher über gotische Architektur auszuleihen und die kostenlose Kunstzeitung zu lesen. Sein Geburtstagswusch: ein Abo der art. Wurde ihm erfüllt.

Mit siebzehn Jahren dann der Knall. Morgens am ersten Ferientag mit dem RE nach Düsseldorf ins K21: Dort steht er unvermittelt in „Weisse Folter“. Die High Security Cells aus Camp V in Guantánamo Bay haben Gregor Schneider zu dieser Installation geführt. “Weisse Folter” überführt das Grauen des Gefangenseins in die Form einer Skulptur. Austermann ist geschockt, nachhaltig berührt: „Weil ich diese Form von Kunst überhaupt nicht kannte“.

Zur Konfirmation geht es erstmals nach Rom, wo er später mit Erasmus-Stipendium an der Sapientia Kunstgeschichte studieren wird. Schließt bei Uli Seegers an der Uni in Düsseldorf ab und ist Gasthörer bei Siegfried Gohr an der Kunstakademie. Sein erstes Praktikum macht er bei Zdenek Felix, der gerade Chefkurator des Kai 10 ist. Weitere Praktika folgen am Museum Kunstpalast und am Bröhan-Museum in Berlin.

Aus dem Underground – Antichambre  

Austermanns Hautquartier liegt in einem Keller. Als die Supermarktkette EDEKA an diesem Ufer vom Worringer Platz (Dauerschlagzeile Express: häßlichster Platz Europas, Kriminalität, Aggressionen, Drogensucht. „So geht es nicht mehr weiter!“) ihre Filiale aufgab, übernahm das Hotel Friends das Lokal. Der Keller blieb leer. Aus diesem Unort machte Austermann einen der wichtigsten Anlaufstätten für junge Kunst: Antichambre.

Aber zunächst stand das Dach auf dem Programm: Für das öde Flachdach suchte das Hotel nach einer Aufwertung durch Kunst. Auch das keine wirklich geeignete Ausstellungsfläche. Austermann, noch an der Uni, wagte sich an sein erstes „Projekt“. Er lud den Kölner Bildhauer Alfons Knobel ein, die Fläche zu „bespielen“ und der platzierte wetterfeste Skulpturen in Form von Coffee-Tabels auf dem Dach. Der Bezug zum Hotel unten war hergestellt.

Seit 2014 zeigt Austermann schon die sechste Ausstellung in den verwinkelten, ehemaligen Lagerräumen, Deckenhöhe: 2,40 Meter, Licht: Neonröhre, Ambiente: gewöhnungsbedürftig. Die Ausstellungen im Düsseldorfer Unterground erfahren immer mehr Beachtung. Aktuell DOMUS mit Arbeiten von fünf jungen Künstlern – Joscha Bender, Jonas Blum, Amit Goffer, Ben Neumann und Anna Weber. Sie zeigen neue Arbeiten und Installationen, Zitate des Häuslichen, Ansätze von Privatheit im Unwirtlichen, Fragmente von Architekturen und Innenräumen. Den Raum stellt das Hotel, Geld für die Ausstellungen gibt es keins. „Der Rest liegt an mir“, weiß Wilko Austermann.

Also geht der Kurator diversen Nebenjobs nach: Er macht Führungen im Museum Kunstpalast, zu den Kunstwerken in Düsseldorfs neuer “Werhahn-Linie”, durch den Skulpturenpark Waldfrieden oder für das NRW Kultursekretariat in Wuppertal. Oder er organisiert Ausstellungen, so für den Verein 701 („Strauss ist raus“) oder gerade für den Kulturraum Niederrhein an zwei Orten gleichzeitig (Kunstverein Mönchengladbach MMIII und Kunstverein Krefeld). Am Samstag beginnt im Volksgarten (Südpark) eine Skulpturenausstellung mit Werken von Hiroschi Mc Donald Mori, Marlin de Haan, Tobias Hoffknecht, Peter Lober, Maren Maurer, Selma Gültoprak, zusammen mit Führungen zu den schon bestehenden Kunstwerken im Park.

Über die Höhe seiner Entlohnung möchte Austermann lieber schweigen. Die Crux liegt darin, daß bei Anträgen an die Kulturämter und sonstige öffentlichen Fördereinrichtungen oft keine Honorare gezahlt werden, keine für die Künstler und keine für die Kuratoren. Das Kulturamt Düsseldorf zahlt keine Honorare, der Kunstverein Mönchengladbach setzt sich für Honorarzahlungen dagegen ein. So bleibt es für Austermann vorerst bei den zeitfressenden Nebenjobs: eine „Generationenerfahrung“, viel Arbeit, wenig Lohn. „Das aber“, findet Austermann, „kann ja nicht so weitergehen. Die Arbeit des Kurators wird schlecht honoriert.“

Wohin die Reise geht?

Zur Fortsetzung des Studium bleibt momentan kaum Zeit. Obwohl: Maria Nordmanns Arbeiten für den Öffentlichen Raum wäre schon ein Thema. Auch ein Kuratorenstipendium wäre nicht schlecht. Aber zunächst geht es 2018 weiter mit „Burn it“ im MMIII, dem Kunstverein Krefeld und dem WELTKUNSTZIMMER. Auch das Postpost, das über 38.000 qm große Grundstück und die Gebäude des ehemaligen Postverteilzentrum zwischen Capitol-Theater und Hauptbahnhof könnten eine Ausstellung gebrauchen. Die Reihe Antichambre will Austermann unbedingt fortsetzen. Die Ideen hat Austermann schon „in der Schublade“. Er lebt mit den Künstlern seiner Generation, holt sich Bezüge und Anregung aus der Kunstgeschichte und kurvt nach wie vor viel durch die Museen. Das schärft sein waches, kritisches Auge.

Was er am Capodimonte im königlichen Palazzo Reggia schätzt: Die ganze Spannbreite der Kunst, Ölgemälde vom Mittelalter bis zur Renaissance (Masaccio, Sandro Botticelli, Raffael, Tizian, Caravaggio, El Greco, Pieter Bruegel, Kunstgewerbe, Keramik, zu Andy Warhohl, Giulio Paolini, Carlo Alfano, Daniel Buren, Joseph Kosuth, Michelangelo Pistoletto, Jannis Kounellis, Sigmar Polke und Mario Merz, dazu eine bedeutende Fotosammlung von Mimmo Jodice begründet. Wenn er mal gerade nicht am Golf von Neapel weilt, zieht es Austermann gerne in den Düsseldorfer Ehrenhof. Das Museum Kunstpalast, weiß er zu schätzten, hat ja auch eine gewisse Spannbreite, leider viel zu wenig genutzt.

Von Kuratoren heißt es oft, bei ihnen habe es zum Künstler nicht ganz gereicht. Oder sie stülpten als Oberkünstler ihr Konzept der Kunst über. Von beidem ist Austermann frei. Künstler wollte es nie werden. Sein Konzept lautet: „Die Leute für die Kunst begeistern.“ Also ab ins Antichambre zu DOMUS. Da kann man wirklich Staunen lernen.

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DOMUS – Antichambre hotel friends, Worringer Straße 94-96, Düsseldorf mit Arbeiten von Joscha Bender, Jonas Blum, Amit Goffer, Ben Neumann und Anna Weber

VOLKSGARTEN – 30 Jahre nach der Bundesgartenschau in Düsseldorf gibt es am Samstag, 30. September, ein Fest im Café Südpark. Wilko Austermann bietet Führungen zu den Kunstwerken in der Grünanlage und eine zusätzliche temporäre Skulpturenausstellung an.

1987 war der Südpark mit dem alten Volksgarten verbunden worden, es wurden dort Werke von elf Künstlern aufgestellt. Skulpturenausstellung im Südpark, bei der am Samstag von 14 bis 20 Uhr temporär Werke von Marlin de Haan, Tobias Hoffknecht, Peter Lober, Maren Maurer, Hiroschi Mc Donald Mori und Selma Gültoprak zu sehen sind. Sie sollen an die bestehende, fest installierte Kunst etwa von Erwin Heerich, Ulrich Rückriem, Norbert Kricke, Klaus Rinke und Christian Megert im Park ergänzen. 

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