Die Tefaf treibt es zu neuen Ufern

Aber in alten Gefäßen. Die European Fine Art Fair sucht neue Kunden in Übersee

Aber gewiss. Sie ist die schönste aller Messen, eine Augenweide und ein immer florierender Marktplatz in den Höhen erlesener Spitzenqualität. Wird sie in Schönheit sterben? Wird die Luft dort oben zu dünn?

Nach dem Markt für Antiquitäten, bricht mit den Alten Meistern nun das zweite Standbein dieser größten Wunderkammer in Messeformat ein. Die Blumenpracht, mit der die Sammler und Besucher traditionelle empfangen werden, zeigt sich diesmal in vornehmen Weiß, Narzissen, Hortensien, Tulpen sind zu duftigen Blütenwolken zusammengestellt. Wahrlich keine Beerdigungsstimmung. Eher wurde der Aufbruch in die Neue Welt gefeiert. Auch eine European Fine Art Fair (Tefaf) kann dem Lockruf des ganz großen Geldes nicht widerstehen und wird in New York gleich zwei Ableger platzieren, einen im Herbst mit Kunst und Antiquitäten, den anderen im Frühjahr mit Moderne, Gegenwart und Design. Grund für diese Entscheidung ist der übermächtige amerikanische Markt. Offenbar sieht man sich gehalten, die exklusive internationale Klientel, seien es nun Sammler oder Superreiche (am besten beides) dort abzuholen, wo sie zu finden ist. Die Milliardäre dieser Welt treten massiert in New York auf, zumal auf den Auktionen. Wenn diese in Maastricht ausbleiben, bleibt es den vereinigten Kunsthändlern auf Dauer nicht erspart, den Weg über den Atlantik anzutreten. Augenweide reicht nicht. Was auch bei dieser Messe letztlich zählt, ist Erfolg, gerechnet in Umsatz und Gewinn. Die Messe, noch im Vorjahr mit dem Slogan „defining excellence“ angetreten, gibt ihr Alleinstellungsmerkmal auf. Sie holt nach, was den Alten Meistern und den Antiquitäten längst nicht erspart geblieben ist: perturbierende Globalisierung.  

Ein europäisches Problem?

Woraus sich insbesondere diese Kunstmesse speist, woraus die rund 275 Aussteller aus 20 Ländern Jahr für Jahr ihr stupendes Angebot beziehen, ist beste europäische Malerei, europäisches Kunstgewerbe, europäische Möbelkunst, europäische Goldschmiedekunst. Die Tefaf läßt sich als der Großversuch sehen, den Guten Geschmack, wie er in Europa sich seit den Hellenen ausprägen und in schier unerschöpflichem Reichtum der Formen und Fantasien entfaltet, in Form eines zehn Tage währenden Marktes zu verteidigen, ihn zu propagieren, ja ihn vielleicht zu einer neuen Blüte zu treiben. Dafür war Maastricht, der Ort, an dem jener Vertrag über die Europäische Union am 7. Februar 1992 unterzeichnet wurde, der den größten Schritt zur europäischen Integration wagte, wahrlich der beste Platz. Und nun? In der bisher größten Krise der EU, kündigt die 1975 gegründete Messe an, in den USA neu aufzuschlagen. Eurozentrismus adé. Wie die Kunsthändler einst die Zeichen der Zeit deuteten und zu Schrittmachern einer Entwicklung wurden, wollen sie jetzt zumindest nicht von ihr überrollt werden. Erlahmt das europäische Interesse, reicht das Geld hier nicht mehr? Oder geht das Angebot an Altmeistern zur Neige? Treten andere Künste und Kontinente, andere Geschmäcker in den Vordergrund? Oder ist es gerade umgekehrt, und die Nachfrage nach altem europäischem Geschmack derart gestiegen ist, daß das viele internationale Geld die Preise in schwindelerregende Höhen treibt?

Ein chinesisches Vasenpaar aus Delft

Es gibt in Maastricht keineswegs nur frische Blumen zu bestaunen. Auch die passenden Vasen stehen im Angebot. Zum Beispiel bei Aronson Antiquairs aus Amsterdam, einem Haus, das sich seit 1881 auf Delfts aardewerk, Delfter Keramik, spezialisiert hat. Zu bewundern gab es hier ein wundervolles, überaus seltenes Paar pyramidaler Tulpenvasen. Im 17. Jahrhundert schlicht als „Blumentöpfe mit Schnäbeln“ bezeichnet, staken in den nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichteten Hälsen keineswegs nur den Tulpen, sondern alle verfügbaren Arten von Blumen. Auch das kann man auf der Tefaf lernen.

Zugeschrieben haben die Experten des Traditionshauses das zerbrechliche, siebenteilige Stück jenem Dirck Witsenburgh, einem der Eigentümer der berühmten De Witte Ster-Manufaktur aus Delft, wo die über einen Meter hohen Kostbarkeiten wohl um das Jahr 1695, also gegen Ende des Gouden Eeuw der Vereinigten Niederlande entstanden sind. Die Händler haben das Paar bei einem Sammler in Belgien aufgespürt, wo es schon vor dem 1.Weltkrieg verwahrt blieb. 13 Jahre mußten sie werben, um es endlich zum Verkauf anbieten zu können. Ihren Triumph aber stellten sie nicht in etwa in Maastricht vor, sondern in New York. Anfang des Jahres stand das Paar mit roten Tuplen und rosa Rosen dekoriert auf ihrem Stand in New York’s Winter Antiques Show auf der noblen Park Avenue – und kaum 48 Stunden später war es prompt verkauft. Ein Sammler aus New York hatte zu einer Summe oberhalb einer halben Million Dollar die Chance genutzt. So wurde das Amsterdamer Stammhaus ausgerechnet mit dem holländischen Traditionsgut par excellence zum Zugvogel in die Neue Welt. 

Die Globalisierung hat schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts eingesetzt. De Verenigde Oost-Indische Companie (VOC) begann chinesisches Porzellan in großen Mengen auf dem Schiffsweg nach Europa zu importieren. Was gleich mehrere Städte in den Niederlanden herausforderte, diese exotische Ware zu imitieren. Zuerst in Delft gelang es wenig später, einen Ersatz aus zinnlasierter Keramik (Fayence) zu kreieren, die dem Erscheinungsbild von chinesischem Porzellan nahekommt. Die Nachfrage nach dem billigerem „holländischen Porzellan“ stieg und Delfts aardewerk wurde zu einem wichtigen Pfeiler der lokalen Wirtschaft. 31 Manufakturen produzierten um 1675, dem Todesjahr Jan Vermeers, mehrere Millionen Stücke pro Jahr, um es in alle Welt zu exportieren. Die Delfter Tellerbäcker hatten sich der Konkurrenz aus China angepasst und konkurrenzlos günstig imitiert, was das Zeug hielt. So ist auch den beiden Prunkvasen in Pagodenform ihre chinesische Herkunft leicht anzusehen und dennoch sind sie zum tulpentragenden Symbol holländischer Kunst und Wirtschaftskraft geworden. Als nach zehnjähriger Renovierung das Rijksmuseum in Amsterdam 2013 prachtvoll wiedereröffnet wurde, durfte man staunen. Als der selben Etage mit all jenen kostbaren Gemälden der Avercamp, Rembrandt, Hals, Vermeer, de Hooch jenes Goldenen Zeitalters sieht man eben auch zwei Paar der wunderlichen Delfter Tulpenvasen.

Auf dem Stand von Vanderven Oriental Art (’s-Hertogenbosch) und von Luis Alegria (ein notabler Kunsthändler aus der portugiesischen Hafenstadt Porto und nicht der Chilensische Innenverteidiger) kann man übrigens weitere  Tulpenvasen aus der gleichen Epoche finden. Bei diesen Exemplaren, wohl ursrprünglich für Hampton Court gefertigt, handelt es sich übrigens um echtes chinesisches Porzellan (Kangxi Periode, um 1700). Das lädt aufs Schönste zum Vergleich der chinesischen mit der gleichzeitigen delfter Vasenproduktion ein. Die Nähe ist verblüffend. 95.000 Euro fordert Vanderven für sein Einzelstück. So gesehen ist hier die Kopie teurer als das Original.

Alles eine Frage der Ansicht

Eine andere europäische Spezialität sind Vedouten, wie sie im 18. Jahrhundert groß in Mode kamen. Auch von diesen perspektivischen Stadtansichten finden sich im Sektor Gemälde in diesem Jahr eine erstaunliche Auswahl. Gleich zwei Venedigbilder eines der großen Meister des Fachs, Bernardo Bellotto, der sich zeitlebens (1722-1780) nach seinem Onkel „Canaletto“ nannte, sind in Maastricht zu sehen. Einmal (bei Richard Green von der New Bond Street, London) Eine frühe, hinreißende Ansicht des Canal Grande von 1741/2 kostet stolze 5,5 Millionen Pfund. Gleich um die Ecke bietet Moretti aus Florenz, einen Blick über den Canal Grande in die Gegenrichtung für 5,2 Millionen Euro an. Ein schöne Reihe, alles andere als zu geringschätzende Vedouten, weil sie alle etwa unter dem Einsatz einer camera obscura zu stande geracht wurden, finden sie in diesem Jahr auf der Messe, so daß man wohl einen kleinen Lehrgang durch die Vedoutenmalerei unternehmen könnten. Angefangen bei Luca Carlevarijs, zu Michele Marieschi, Francesco Lanin, Francesco Guardi, Canaletto, William James, Antonio Joil, Catel, bis zu Franz Richard Unterberger, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Bacino der Lagunenstadt noch einmal in hinreißendem Abendlicht malte (950.000 Euro bei MacConnal-Mason, London). Höhepunkt aber ist hier wohl die Versammlung von gleich elf Ansichten von Gaspar van Wittel, der 1652 in Amerfsort geboren, sich in Rome (wo er 1736) starb zu dem berühmten Vanvitelli entwickelte und als Begründer der Vedoutenmalerei in die Kunstgeschichte einging. Die Galerie Robilant + Voena, London hat jahrzehntelang all diese Ansichten vom Lago Maggiore, von Venedig, Rom, Neapel zusammen getragen, um sie in Maastricht zeigen zu können.

Wie auch die Verbindung von Kunsthandel zu den Museen nach wie vor funktioniert, davon gibt in diesem Jahr ein kleines, zunächst unscheinbares Blumenstilleben ein bestes Beispiel. Das mit „Blumenvase in einer steinernen Nische„ dürftig benannte Gemälde von Roelant Savery (1576-1639) zum stattlichen Preis von 6,5 Millionen Euro vom Mauritshuis in Den Haag erworben werden. Colnaghi (das Händlerduo Jorge Coll & Nicolás Cortés führt gemeinsam mit Konrad O. Bernheimer die Londoner Traditionsfirma) konnte das Werk anbieten und verkaufen. Lottoeinnahmen, die Rembrandt-association und ein privater Mäzen haben das Geld zusammengelegt, um dem Museum das Werk zu stiften. Nachdem Bernheimer den Standort München mit einigem Aplomb aufgegeben hat, fehlt seine Präsenz nun auch auf der Tefaf.

Erst kürzlich von einem Auktionshaus in New Jersey als „continental school“ für schlappe 500 bis 800 Dollar angeboten, erwies sich das Gemälde als ein früher Rembrandt. Nun gehört es dem US-amerikanischen Milliardär Thomas S. Kaplan, der geschätzte 3,3 bis 4, 4 Millionen Dollar für „den ohnmächtigen Patienten“ auch unter dem Namen „Geruch“ bekannt, springen liess. Auf der Tefaf konnte das Frühwerk zwar erstmals öffentlich gezeugt werden. Es war mit einem roten Punkt markiert. Doch war der Deal schon vor Beginn der Messen abgewickelt werden.

Die Tefaf hat der ‘Rembrandt-Vereinigung’ zu ihrem 125-jährigen Jubiläum übrigens 50.000 Euro gestiftet. Das Geld investiert die Vereinigung in Kunstwerke, die sie an das Reichsmuseum in Amsterdam weiter verschenkt. So geht der Kreislauf.

Der „Art Market Report“, den die European Art Market Foundation auf der Basis einer großangelegten Umfrage unter den Händlern zusammenstellt, verzeichnet für 2015 einen Rückgang des weltweiten Kunstmarkts von sieben Prozent, von 68.2 Milliarden auf 63.8 Milliarden Dollar. Auf diesen Umsatz sollen dem Wert nach 46 Prozent auf das Konto von Nachkriegs- und Gegenwartskunst gehen, in 41 Prozent der getätigten Verkäufe.

 C.F Schröer

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