Der ideale Intendant

Rein Wolfs bringt die Bundeskunsthalle auf Kurs

„Macht Spaß“, der hochgewachsene Intendant fasst sich gerne kurz. Seine hellen Augen blitzen auf, die Frage nach seinem derzeitigen Stresspegel nimmt er gelassen. Kein Bedauern bitte, kein Mitleid. Rein Wolfs ist Ausstellungsprofi seit immerhin zwanzig Jahren. 2013 übernahm er das Ruder der “Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland“, könnte aber gut als Leiter eines Jugendzeltlagers durchgehen.

Spaßig ist sein Posten nur bedingt. Um überhaupt Spaß an der Leitung der Bundeskunsthalle in Bonn zu finden, braucht es wohl ein besonderes Talent. Wolfs pflegt ein bescheidenes Auftreten, dabei ist er ein Überzeugungstäter mit hoher Durchsetzungskraft. Dem Kunsthistoriker, 1960 in der alten Hafenstadt Hoorn an der holländischen Zuiderzee geboren, ist die  Weltläufigkeit mit in die Wiege gelegt. Aus seiner Heimatstadt kamen viele berühmte Seefahrer und Entdecker. Auch Wolfs schätzt die freie Sicht übers Meer, Untiefen umschifft er gerne, Abenteuern sieht er gelassen entgegen.

Nach Stationen in Zürich,  Wolfs Karriere begann als Gründungsdirektor des Migros Museums für Gegenwartskunst, in Rotterdam (Museum Boijmans Van Beuningen) und der Kunsthalle Kassel, trat er die Intendanz der Bundeskunsthalle an, als diese in einen argen Schlingerkurs geraten war. Breitbeinig steht er auf der Brücke des Riesentankers, ein Überbleibsel der Kohl-Ära, und trotzt der Berlin-Flucht. Seit drei Jahren steuert er das mit Abstand größte Ausstellungshaus Deutschlands umsichtig und geräuschlos, die kommenden Ausstellungen fest im Blick, die auf sein Haus zubranden. „Wir sind breit aufgestellt“, wiederholt Wolfs sein Mantra, als könnte ihn so schnell nichts von der Brücke werfen. Was auch? Breit entspricht der Windrichtung aus Berlin, von wo aus die Bundeskunsthalle politisch gesteuert wird. Offiziell ist der 1. Dienstsitz von Monika Grütters zwar in Bonn, aber wann kreuzt sie hier schon noch auf. Auch das Geld wird in Berlin bewilligt: nach wie vor 16 Millionen Euro läßt sich der Bund seine „Kunst- und Ausstellungshalle“ pro Jahr kosten. Rund vier Millionen jährlich spielt das mit drei Spitztürmen bewehrte Haus an der Bonner Museumsmeile dazu ein – solange weiterhin 500.000 Besucher im Jahr zu den Ausstellungen kommen, Eintritt zahlen, Kataloge kaufen, den „Speisesaal“ frequentieren, oder beispielsweise der Deutsche Ärztetag das Forum anmietet. Der 20 Millionen Euro Etat ist einsame Spitze, auch in Europa konkurrenzlos. Solche Zahlen wecken Begehrlichkeiten, bisweilen auch Neid und andere niedere Motive. So geriet die Bonner Bundeskunsthalle auf Schlagseite und beinahe wäre auch diese Bundeseinrichtung auf die Rutschbahn Richtung Berlin geraten.

Breit aufgestellt, Vertrag bis 2023

Wolfs, Markenzeichen eisgrauer Seemannsbart, demonstriert Zuversicht. Soeben wurde sein Vertrag vorzeitig bis 2023 verlängert. Er versteht das als Auszeichnung. Der ideale Intendant? Zunächst hat er den Tanker in ruhigere Fahrwasser gelenkt, raus aus den Untiefen der Politik, hin zu kulturhistorischen Themen und Inhalten. „Breit aufgestellt“, zielt auf „vielseitig und publikumswirksam“, aber keineswegs treibt das in Richtung Schauburg oder Jahrmarkt. Ausstellungen zur erweiterten Kulturgeschichte sind der Bringer im Haus, „aber nicht losgelöst vom Hier und Jetzt“, betont Wolfs. „Gegenwärtigkeit“, ist eine seiner Lieblingsvokabeln, aber eben nicht Worte wie populär und aktuell. Vor Parolen schreckt er nicht zurück: „Wir sind auf der Suche nach dem Bildungsbürger.“ Proustianer ergänzen hier „verlorenem“. Doch möchte Wolfs sein Haus auch für spezielle Szenen öffnen.

Wie breit er das Angebot anlegt, war zuletzt zu bestaunen. Vier Ausstellungen gleichzeitig konnte die Bundeskunsthalle scheinbar mühelos aufbieten: Pina Bausch und das Tanztheater, Gartenkunst des Fürst Pückler, Modefotografie von Jürgen Teller, sowie Bauhaus-Design heute. Kaum, daß Pina Bausch samt rekonstruierter „Lichtburg“ in den Berliner Gropius-Bau zur Zweitverwertung wanderte, eröffnet „Rhein – eine Flußbiografie“ in Bonn. Ein etwas flaches, geschichtsseliges Fußpanorama. Gleichwohl ein erstaunliches Spektrum, Breitband-Programm, kein Spagat. Hilmar Hoffmanns Kulturcredo aus den siebziger Jahren „Kultur für alle“, in Bonn wird es anschauliche Wirklichkeit. Wolfs, der sich mit Kunstausstellungen zur Avantgardekunst einen Namen machte, stört der Breitenansatz keineswegs, in Bonn ist er zum Centerplayer geworden. Als Ort der Mitte ist die „Bundesstadt“ bestens geeignet, dem so erweiterten Kulturbegriff zu neuem Glanz zu verhelfen. Als überzeugter „Paneuropäer“ fühlt er sich in Bonn „fast wie Zuhause“. Die Stadt, schätzt er, liege „ohnehin in der Mitte Europas“. Darf man mehr erwarten?

Wolfs ist am „Alleinstellungsmerkmal“ seiner Halle gelegen. „Wir sind überhaupt das einzige Kunst- und Ausstellungshaus in Deutschland.“ Den Gropius-Bau  in Berlin zählt er da nicht wirklich mit, weil dort andere Veranstalter das Programm bestimmen und die technische Ausstattung nicht auf der Höhe ist. Der Gropius-Bau ist nicht Dependance, sondern lediglich Partner. Die Bundeskunsthalle gastiert dort mit „Außenproduktionen“ ein-, zweimal im Jahr.

Wie der Dieselmotor eines Frachtschiffs auf dem nahen Rhein schnurrt die Bundeskunsthalle ihr Großtonnage-Programm ab. Kein Champagner mehr auf dem Dachgarten, keine Pop-Konzerte auf dem Museumsvorplatz, kaum Polit-Prominenz bei den Eröffnungen. Dafür grundsolide, bisweilen ambitionierte Ausstellungen, die sich ihr Publikum aus einem Umkreis von 500 Kilometern suchen, über das Ruhrgebiet, Belgien und die Niederlande hinaus bis ins Pariser Becken.

Der Markt für Ausstellungen sei heiß umkämpft, sagt Wolfs und man spürt förmlich den Kostendruck in seinem Nacken. Als Haus ohne eigene Sammlung sind Leihgaben in den letzten Jahren kaum mehr erschwinglich, die Versicherungs- und Transportkosten, dazu die besonderen Ansprüche der Leihgeber, da hilft nicht alleine das Geld, sondern des Öfteren eine Bundesbürgschaft statt der Kosten für eine teure, private Versicherung. 130 Mitarbeiter hat Wolfs zu koordinieren und motivieren, dazu die Abstimmung mit Grütters BKM. Bisweilen kostete es vier Jahre Vorlaufzeit, um eine Ausstellung vorzubereiten. Für die große „Beethoven-Schau“ zu Beethovens 250. Geburtstag im Jahr 2020 laufen die Planungen bereits an. Eine Schau zur altiranischen Kunst, eine zu Manga und Grafic Novel, eine weitere zur Geschichte der Menschheit (mit dem Israel Museum) sind in Planung.

Wolfs Umsicht ist es zuzutrauen, selbst mit den staatlichen Stellen und Museen aus Teheran reibungslos zu kooperieren und alle Klippen, die solch eine Unternehmung unweigerlich bietet, zu umschiffen. Und die Kunst? – Die mit Spannung erwartete Gurlitt-Ausstellung mußte abgesagt werden. Wegen der Kunst allein fährt kaum jemand mehr nach Bonn. Doch steht eine Reihe monografischer Ausstellungen zu Ferdinand Hodler und Ernst Ludwig Kirchner an. Hart in den Wind kann Wolfs selten noch mit der Kunst. Da ist Bernhard Spies, Kaufmännischer Oberaufseher des Hauses, vor. Pontus Hulten, der Gründungsintendant, war da unbefangener. Wolfs will aus der Bundeskunsthalle kein Flaggschiff der Avantgardekunst machen. Auf die Frage, welchen Künstler er seiner Halle lieber nicht zumuten will, nennt Wolfs ohne Umschweife: Christoph Büchel. Den hat er 2012 im Kassler Friedericianum gezeigt. In Düsseldorf ist ein Büchel-Projekt gerade krachend gescheitert. Doch leistet er seiner Halle und den Besuchern eine große Gregor Schneider-Schau „Wand vor Wand“. Eine Katharina Sieverding-Retrospektive wird 2017 folgen. Der Herausforderung einer Gregor Schneider Ausstellung, die Arbeiten, Räume, Rauminszenierungen aus 35 Jahren zeigt, ist in Deutschland ohnehin nur die Bundeskunsthalle gewachsen. Und geht an die Grenzen ihrer Leistungsstärke. Einen Katalog zur Ausstellung konnte sie sich schon nicht leisten.

Spaß machen, soll es nicht nur Rein Wolfs, sondern den vielen Anderen, den Besuchern, den Familien, den Bussen voller Senioren. Wenn schon „breit“, bliebe zu fragen, wann wird der Eintritt in die Bundeskunsthalle endlich kostenlos sein? Was beim benachbarten Haus der Geschichte längst eingeführt ist, warum nicht bei der Bundeskunsthalle? Der Spaß wäre umso größer, der Bildungsanspruch erreichte weit mehr Passagiere. Die vielbeschworene „Bildungsverpflichtung“ könnte aber mal so richtig auf Schwung gebracht werden.

C .F.S.

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