„Neue Macken“

Filmset am Originalschauplatz. Die Kunstakademie Düsseldorf wird zum Drehort des Richter-Films „Werk ohne Autor“

Was macht ein junger Filmregisseur, der gleich mit seinem ersten Spielfilm den internationalen Durchbruch schaffte, in Hollywood daraufhin einen sagenhaften Flop (“The Tourist” mit Angelina Jolie und Johnny Depp) landete? Er kehrt dahin zurück, wo er die Erfolgsspur einst verloren hat.

Fast zehn Jahre nach dem Erfolg mit dem oscarprämierten „Das Leben der Anderen“ hat Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck, leicht ergraut, die Dreharbeiten zu seinem dritten Spielfilm nun wieder in Deutschland aufgenommen, wieder mit Unterstützung der Produzenten Max Wiedemann und Quirin Berg, wieder mit Schauspielern wie Sebastian Koch, die ihm bereits beim außerordentlich beeindruckenden Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“ zur Seite standen. Und wieder greift Henckel von Donnersmarck auf einen Stoff aus den Tiefen oder vielmehr Untiefen der neueren Deutsche Geschichte zurück. Tief geht es in die Verstrickungen von NS-Zeit, DDR und der Adenauer Ära Westdeutschlands hinab. Aufgeblättert wird die Polit-Story allerdings um den Werdegang eines jungen Malers, des Künstler Kurt Barnert (gespielt von Tom Schilling), hinter dem sich leicht das Leben von Gerhard Richter (geb. am 9. Februar 1932 in Dresden) erkennen läßt. Und der ist nun mal zum weltweit erfolgreichsten Maler seiner Zeit aufgestiegen. Happy end?

Henckel von Donnersmarck hat das Drehbuch zur Geschichte um diesen Künstler selbst verfasst. In „Werk ohne Autor”, so der kryptische Filmtitel, will der Regisseurs weniger einen weiteren Richter-Film vorlegen, noch dessen Kunst irgendwie nahe kommen. Stattdessen läßt er uns wissen: „Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, einen Film zu machen, der zeigt, dass Kunst Dinge erahnen kann, die dem Verstand für immer verschlossen bleiben.”

Die Vorlage zum Film (zumindest bis zu Richters Flucht in den Westen) hat Jürgen Schreiber allerdings schon 2005 nach jahrelangen Recherchen in DDR Archiven geliefert. Schreiber ist einer der bedeutenden Investigativ-Journalisten. Seine Reportagen für die Frankfurter Rundschau, später das SZ-Magazin gehörten zum Besten, was der deutsche Journalismus zu bieten hat. Bevor er 2004 zum Stern wechselte, war er Chefreporter beim Berliner Tagesspiegel. Für seine Arbeiten auf dem Gebiet Reportage und Enthüllung wurde er bereits zweimal mit dem Wächter-Preis der deutschen Presse ausgezeichnet, außerdem erhielt er den Theodor-Wolff-Preis. Sein Buch „Ein Maler aus Deutschland. Gerhard Richter Das Drama einer Familie“ zeigt auf, wie gespenstisch miteinander verflochten die Lebensläufe von Richters Tante Marianne Schönfelder und seinem früheren Schwiegervater, Professor Dr. Heinrich Eufinger, einem Nazi der ersten Stunde, sind. Tante Marianne fällt in die Hände der NS-Psychiatrie, wird mit 21 Jahren zur “Unfruchtbarmachung” verurteilt und 1945 nach langem Leidensweg als eines von 250.000 Euthanasie-Opfern ermordet. Im gleichen Zeitraum hat SS-Obersturmbannführer Eufinger als Direktor der Dresdner Frauenklinik nahezu 1.000 Zwangsterilisierungen zu verantworten. Trotz seiner Nazi-Vergangenheit wird er angesehener Chefarzt, erst in der DDR, dann im Westen.

Dies alles liegt für Gerhard Richter im Dunkeln, als er sich in den fünfziger Jahren in Eufingers Tochter Marianne, genannt “Ema”, verliebt. 1961, kurz vor dem Mauerbau, flüchtet Richter zusammen mit ihr aus der DDR. Später, schon in Düsseldorf, porträtiert er seine Verwandten, ohne die schrecklichen Zusammenhänge zu kennen. Nach einem Foto hat Richter das bekannte Porträt “Tante Marianne” gemalt, auf dem er selbst als Baby zu sehen ist. Auf dem Bild “Familie am Meer” sei ein weiteres Familienmitglied zu sehen, eben jener Naziarzt Eufinger. Nach einem Farbfoto wird er wenig später auch “Ema” malen. Richter hat erst durch Schreibers Recherchen von diesen historischen Zusammenhängen in seiner Familiengeschichte erfahren. Auf dem Buchumschlag findet sich darum auch Richters Satz: “Meine Bilder sind klüger als ich”. Darauf spielt wohl der Filmtitel an.

Nun macht Henckel von Donnersmarck aus der Geschichte genau das, was Filme allzu gerne mit Kunst und Künstlern tun: sie schließen die Biografie mit der Kunst kurz. Im Fall Richters: weil Richter ein derart vergiftetes Deutsches Schicksal erlitten habe, malt er eben solche Bilder. Kurzschluß liebe Leute vom Kino! Als Richter 1961 nach Düsseldorf kam, sah er sich tatsächlich mit funadmentalen künstlerischen Fragen konfrontiert und er stellte sie sich radikaler als die meisten seiner Mitstudenten. Zum Beispiel: Was konnte es noch bedeuten, Maler zu sein? Wie ließ sich die Malerei überhaupt retten? Wer sich damals in Düsseldorf als junger Künstler noch der Malerei widmete, saß sich schnell auf verlorem Posten. Die Bedeutung Richters liegt darin, welche außerordentlichen Antworten er als Maler auf diese Fragen fand. Es hieße den Künstler Richter völlig zu unterschätzen, wenn man seinen Rettungsversuch der Malerei mit den Mitteln der Malerei als rein persönliche Krisenbewältigung abtäte.

Was soll aus dem Maler bloß werden? Gerhard Richter um 1961

Die Dinge lagen anders, damals in Düsseldorf. Die Fragen eines jungen Malers, der gerade im neuen Kunstzentrum West angekommen ware, stellten sich anders, radikaler.

Bereits ab 1962 entwickelt Richter seine eigene, seine »neue Macke«, wie er das nennt. Er taucht ein ins Banale, in die Zeitschriftenwelt von Tante Lenchen. Hier findet er jene »Leitbilder«, »die ausnahmslos alle konsumieren, weil alle davon betroffen werden«. Viele dieser Bilder, Fotos von Sargträgern, von einer Sekretärin, von schnellen Autos, Jagdbombern, oder eben Pornobildchen schneidet er aus und malt sie auf Leinwand, oft stark vergrößert, im Ausschnitt verändert, leicht oder auch mal schwer verwischt. Damit scheint sich seine Hoffnung zu erfüllen: “nichts mehr erfinden zu müssen, alles vergessen, was man unter Malerei versteht.”

Das Jahr 1967 wurde auch für Richter, damals noch Gerd Richter, zu einem Wendejahr. Nach seinem Studium an der Kunstakademie arbeitete er als Kunstlehrer an einer Schule in Düsseldorf, als er den Kunstpreis “junger westen” der Stadt Recklinghausen zugesprochen bekam. Sein erster Preis überhaupt und eine frühe öffentliche Anerkennung. Zudem ereilte ihn ein Ruf aus Hamburg. Eine Gastprofessur an der Hochschule für Bildende Künste wurde ihm angeboten. Den vielleicht wichtigsten Zuspruch jener Jahre erhielt er wohl von seinem Galeristen Alfred Schmela. Der Galerist stellte Konrad Lueg und ihn damals seinem Kollegen Hans-Jürgen Müller mit den Worten vor: “Das ist Gerhard Richter, das wird einmal ein toller Maler, und das ist der Konny, das wird mal der beste Galerist, wirst Du sehen.”

Als es um das Jahr 1967 für Richter persönlich wie auch für die Neoavantgarde, wie sie sich in Düsseldorf zusammengefunden hatte, darum ging, die tatsächlichen Schwierigkeiten und Bedingungen der Kunstproduktion in Westdeutschland zu ergründen und Anschluß an die internationale Kulturindustrie zu finden, erfand Richter die Strategie einer “doppelten Negation” (Benjamin Buchloh). Da längst nicht mehr jeder radikale Abbau traditioneller Formprinzipien, noch die Vernichtung ästhetischer Kompetenz zu den emanzipatorischen Effekten führten, wie zu Zeiten der Vorkriegs-Avantgarden, erschien Richter der Impuls der Avantgarde in beide Richtungen hin aufgezehrt. Entsprechend bezog er in einer Umkehrung der traditionellen Bildtradition (Maler und Modell) seine Aktvorlagen aus beliebigen Illustrierten, auflagenstarken Massenmedien. Seine Malweise verweigert sich zudem allen Ansprüchen an altmeisterliche Könnerschaft. Selbst die Farbe wird den Bildern entzogen. Sie sind meist Schwarz-Weiß. Aus dieser Perspektive gewinnen auch die pornographischen Bilder eine politische Dimension. Mit “Ema – Akt auf einer Treppe” von 1966 beginnt Richters Porno-Serie. Ihr sind mindestens zehn Bilder zuzuordnen, darunter “Schwestern” und “Studentin”. Unversehens erscheinen sie als Travestien des wehmütigen Blicks auf vergangene Schönheit und malerische Meisterschaft. Unter den Bedingungen einer industrialisierten Pornographie ist keine Wiederbelebung der traditionellen bildnerischen Form möglich, so Richters zeitkritische Analyse. Der Akt als künstlerische Kategorie, wie auch dessen altmeisterliche Darstellung werden, doppelt negiert, wiederaufgeführt.

Der reine biographische Bezug bei der Entstehung der Richter-Bilder wirkt da wie Filmkitsch. Im Film trifft Kurt Barnert erst Ende der 60er Jahre in Düsseldorf ein, genau am Tag des Sommerrundgangs der Kunstakademie. Das passt wohl gut als Kontrastprogramm auf die miefigen, grauen Jahre der DDR-Zeit zuvor. Buntes Treiben im Westen, Happening im Rheinland (Henckel von Donnersmarck kennt sich aus, er ist in Köln geboren).

Höhepunkt der Studentenunruhen, unruhige, glanzvolle Tage der Kunstakademie. Für diese Szene läßt der Film die Akademie der 60er Jahre wieder auferstehen. 15 Tage werden die Dreharbeiten allein an der Akademie dauern. Trubel auf allen Fluren und in allen Ateliers. Uecker, Polke, Beuys geraten ins Bild. Studenten werden als Komparsen und Darsteller eingesetzt. Eine Bogenschützin beschießt mit Holzpfeilen eine Leinwand. Zwei nackte Studenten bemalen sich selbst mit Farbe und die Box in der sie stehen. Andere Studentinnen und Studenten sind mit farbgetränkten Schwämmen behangen und bemalen mit akrobatischen Rollbewegungen die auf dem Boden ausgelegte Papierbahn. Yves klein, obwohl nie an der Akademi, läßt grüßen. Aktion in allen Sälen und ein paar nackte Brüste dazu. Richter hat sich zu dieser Zeit längst von der Akademie abgesetzt und stellt in diesem Sommer erstmals in den USA aus.

“Werk ohne Autor”

Regie und Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck Produktion: Pergamon Film und Wiedemann & Berg Film Koproduktion von ARD Degeto und Bayerischem Rundfunk Verleih von Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

Zu Drehbeginn. Florian Henckel von Donnersmarck hinter seinen Hauptdarstellern Sebastian Koch, Tom Schilling und Paula Beer 

Die Dreharbeiten finden bis Ende August in Berlin, Sachsen und Düsseldorf statt. Wann der Film in die Kinos kommen wird? Keine Angaben. Wie hoch das Budget liegt? Keine Angaben. Doch war zuletzt von 12 Millionen Euro die Rede.

Bücher von Jürgen Schreiber

Meine Jahre mit Joschka Fischer. Nachrichten von fetten und mageren Zeiten.

Die Stasi lebt. Berichte aus einem unterwanderten Land.  

Sie starb wie Che Guevara. Die Geschichte der Monika Ertl

Gerhard Richter studierte ab dem WS 1961 bis 1964 bei Ferdinand Macketanz und Karl Otto Götz an der Kunstakademie Düsseldorf und war von 1971 bis 1993 daselbst Professor für Malerei. Er lebt heute mit seiner Familie in Köln als Ehrenbürger der Stadt.

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