Lustprinzip mit Juckreiz

Philara öffnet in der „Welthauptstadt der Kunst“

Düsseldorf, die eigentliche Welthauptstadt der Kunst“, sprach es und Ausstellung, Sammlung und neues Haus waren eröffnet. Nach sieben Jahren in Reisholz schlägt Gil Bronner mit seiner „Sammlung Philara“ in Flingern in einem Fabrikgebäude im Hinterhof (Birkenstr. 47) auf. Bronner ist, bei aller quirligen Umtriebigkeit ein Mann, der ziemlich genau weiß, was er tut. Aber „Welthauptstadt der Kunst“ – Düsseldorf, eigentlich?

Nach Bronner trat Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel ans Mikrophon. Doch griff Geisel die Vorlage Bronners lieber nicht auf. In seinem Auftrag wird gerade, mühsam genug, ein „Kulturentwicklungsplan“ aufgestellt. Alles steht und wartet, wohin die Reise gehen wird. „Der Sammler geht voran“ hieß es einst als Peter Ludwig mit seiner Pop-Art Sammlung in Köln aufschlug. Bronners Bekenntnis zum Standort Düsseldorf in Ehren. Doch klingt der Satz nicht leicht aus der Zeit gefallen, vermessen? Von solcher Euphorie ist in Düsseldorf jedenfalls schon lange nichts mehr zu hören gewesen. Stattdessen Selbstbefragungen, Zweifel, Fluchtbewegungen, Achenbachkapriolen, Ambachiaden.

Allem Anschein nach meint es der 1962 in Düsseldorf geborene Bronner mit seinem Hoch auf Düsseldorf nicht nur gut, sondern ernst. Bronner immerhin ist beides – Düsseldorfer Jong und Weltbürger, in der rheinischen wie in der überrheinischen Kultur zu Hause, ist Immobilienkaufmann und Familienvater (seine Sammlung heißt nach seinen Kindern Philipp und Lara), ist Kunstsammler und Kunstförderer („Bronner-Residency“, Künstleraustauschprogramm Tel Aviv – Düsseldorf).   

Welthauptstadt der Kunst? – Das Fragezeichen könnte aktuell kaum dicker sein. Sicher gab es hier immer wieder Versuche, Aufschwünge, sogar Hochphasen. Aber Vieles ging auch schnell wieder den Rhein runter (auch schon mal stromaufwärts, Richtung Köln). Was aus der Kurfürstenzeit überdauert hat, ist die Kunstakademie, 1773 durch den Kurfürsten Carl Theodor gegründet. Heute hat die staatliche Kunstakademie mehr mit sich zu kämpfen, als daß sie noch internationale Strahlkraft entwickelte (s. dazu: Der Putsch der Rektorin / Artist´s artist).

Doch gingen alle neueren Impulse dieser eigentlichen Welthauptstadt Kunst von der Akademie und ihren Künstlern aus. Als Folge von Weltkrieg, Vertreibung und Deutscher Teilung fanden sich an der Düsseldorfer Kunstakademie junge Talente zu Hauf ein: Günther Uecker, Gotthard Graubner, Gerhard Richter, Sigmar Polke, Blinky Palermo, Imi Knoebel, Hilla Becher, Katharina Sieverding, Andreas Gursky, die Liste ließe sich verlängern. In Folge von Nazi-Diktatur und Kunst-Verfemung kam es auch zur Gründung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, kurz nachdem Düsseldorf mit viel Glück Residenzstadt des Nordrhein-Westfälischen Ministerpräsidenten geworden war. Das westdeutsche Wirtschaftswunder erhielt eine staatliche Kunstsammlung beigesellt, weniger als Kompensation, denn als Gegengewicht zu Kapital und Konsum (s. dazu: Ratlos unter der Zirkuskuppel / Knautschkissen und Dreifaltigkeit)

Das alles hat sich geändert, gewendet und ist mit dem Aufkommen der „Berliner Republik“ längst in die Zweitklassigkeit geraten, ins Hintertreffen gerutscht. Und doch hört man Bronner, breitbeinig und hemdsärmelig, wie er aus dem Getöse ins Mikrophon flüstert: „Welthauptstadt der Kunst!“ Eigentlich war da keinesfalls als Einschränkung gemeint, eher noch als Bekräftigung. Wer eigentlich außer Bronner hätte Kraft und Chuzpe das gegen Vielermanns Zweifel, Neuberliner Oberwasser und gegen das allgemeine Düsseldorf-Bashing zu behaupten?

Chuzpe, lernen wir aus dem Wörterbuch, ist eine Mischung aus zielgerichteter, intelligenter Unverschämtheit, charmanter Penetranz und unwiderstehlicher Dreistigkeit. Kann sich die Stadt auf der Suche nach ihrer Position und Bedeutung an Bronners Elan und Tatendrang orientieren? Das hieße sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen.

Düsseldorf – deine (verlorenen) Sammler

Es gab da in der Vorwendezeit einen momentlang die Chance, vielleicht nur eine schöne Idee, eine Privatsammlung nach Düsseldorf zu holen, um die die Welt die kleine Provinzhauptstadt am Rhein tatsächlich beneidet hätte. Die Gemäldekollektion des Barons Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza suchte Anfang 1987 eine neue Bleibe. Da Thyssen Wurzeln in Düsseldorf hatte, private wie betriebliche, bot man ihm für seine auf rund 1300 Werke (vom 14. bis zum 20. Jahrhundert) umfassende, kostbarste Kollektion eine Bleibe in Düsseldorf an. Sie wanderte dann bekanntlich in den Palacio de Villahermosa in Madrid. Und wer nicht sonst alles mit seiner Sammlung in Düsseldorf aufschlagen wollte – und stattdessen in Berlin groß herauskam: Schürmann, Olbricht, Haubrock, die Liste ließe sich verlängern. Unterdessen wanderten drei Dax-Konzerne ab, erst Mannesmann, dann Thyssen-Krupp, zuletzt E.ON. Auch das keineswegs von Vorteil für eine Welthauptstadt der Kunst. Trotzdem schlägt Bronner auf.

Im Alleingang, frei von öffentlichen Geldern und Abhängigkeiten, eröffnet er nach sieben Jahren Vorlaufs- und Versuchsphase und gut zwei Jahren Bauzeit ein Sammlermuseum, wie es weit und breit keines gibt, nicht in Düsseldorf, nicht in Köln, nicht im gesamten Rheinland. An Fläche hat es mehr als die Düsseldorfer Kunsthalle; an zeitgenössischer, junger Kunst mehr als der Kunstpalast oder das Museum Ludwig. Das Besondere ist, daß Bronner vorne sammelt, sogar weit vorne. Seine schnell wachsende Sammlung – inzwischen sind es 1300 Werke – ist die ehrgeizigste und avancierteste in Nordrhein-Westfalen. Bronners Devise „Can´t have ist All“ (so der Titel einer Neuerwerbung von Friedrich Kunath), dem Rest jagt er weltweit hinterher, Fokus Düsseldorfer Akademie.

Wer Bronner unterschätzt, hat sich schon vermessen. Er kauft und sammelt nach Herzenslust, aber schlau; er ist unabhängig, aber gut beraten; reist gerne in der Welt herum, steht aber mit seinen Leuten in Flingern in engem Kontakt; kennt Düsseldorf wie seine Hosentasche, zu gut, um den Düsseldorf-Affen Zucker zu gehen. Keine Glamour- Party gab es zur Eröffnung, nix Champagner für alle, dafür Altbier aus der Flasche und Burger auf die Faust. Bronner joggt, spielt Tennis, kreuzt schon mal gerne in Shorts und Badeschlappen auf, kann aber auch Porsche. Gerne kauft er bei den jungen Galerien in Flingern, Petra Rink, Van Horn, Linn Lühn, Kadel Willborn, selbstverständlich auch bei Fischer und kauft doch auf der Art Basel (so die Installation Artichoke Underground von Justin Lowe und Jonah Freeman bei Marlborough Chelsea, New York.)

Philara-Family. Anat, Lara, Philipp und Gil Bronner

Als Vorläufer und Anregung nennt Bronner die Insel Hombroich, eröffnet 1987, die Julia Stoschek-Collection, 2007 und das DKM in Duisburg, 2009. Aber sein Sammlermuseum setzt einen anderen Punkt. Bronner hat „keine Mission“ und „Null Sammlungskonzept“, er verfolgt kein Ziel, außer „Kunst, die mir gefällt“ zu sammeln und ordentlich auszustellen. Das Lustprinzip als Sammlerreiz, selten so opulent, so humorvoll vorgetragen, wie von Gil Bronner. Ohne Ehrgeiz ist er deshalb lang nicht.

Juckreizungen aus Kaliforniern

Am besten wird klar, was ihm gefällt, wofür er wirklich „brennt“, auch wie sicher er sich in der Szene bewegt, wenn man auf die Einzelausstellung zu sprechen kommt, die Bronner als Ausstellung in der Ausstellung in die Erstpräsentation seiner Sammlung aufgenommen hat. „Juckreiz“, so der Titel, ist voller Selbstreferenz und bitterer Ironie. Jede Sammelleidenschaft ist wie ein Juckreiz. Je mehr man kratzt, desto stärker juckt es. „Juckreiz“, sagt die Apotheken Umschau, „löst das Verlangen nach Kratzen, Reiben oder Scheuern aus. Die Missempfindung kann harmlos sein oder vermitteln, dass mit der Haut oder im Körper etwas nicht stimmt.“ Mit Friedrich Kunath hat ein Künstler den Vortritt erhalten, um den sich die Kunstwelt in aller Welt reißt, der Shootingstar der Saison. Bei Philara stellt er seine neueste Serie vor. Kunath, 1974 in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) geboren, hat sich längst in die andere Welthautstadt der Kunst, Los Angeles, abgesetzt.

Doch hat er auch Wurzeln im Rheinland, zumal in Köln und Düsseldorf. Schon 2001 wurde er zu Zero Gravity im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf eigeladen, 2001 erhielt er das Peter Mertes Stipendium, stellte 2002 im Bonner Kunstverein aus, 2006 wurde er (zusammen mit Seb Koberstädt) Förderpreisträger des Landes Nordrhein-Westfalen. Von Sehnsuchtsmotiven der vergangenen Jahre bleibt kaum eine Spur, stattdessen die Tristesse einer in die Jahre gekommenen Pop-Kultur, verwirbelt mit der Reflexion über die eigene Künstlerperson. Ein gefräßiges Nagetier aus Polyersterschaum, das ernüchtert feststellt: „What difference it makes, when it doesn´t make any difference anymore“ stellt er in einem der Räume mit dem wandfüllenden Gemälde „Egoist in Eternity“ und „Sunday Blazer“ aus. Ernüchterung, Mechancholie, Selbstmitleid, bis in die ab- und hintergründigen Werktitel hinein. Kunnahs Video „You go your way and i´ll go cracy”, folgt dem Künstler bis tief in die Falle der „Erfolgsisolation“. Überall, beim Tennis oder Segeln, sein einziger Matchpartner ist er selbst und selbst aus seiner Vergangenheit taucht immer nur er selbst auf. Es ist das Los und Verfängnis vieler Künstler heute, die sich dabei beobachten, wie ihre professionelle Sebstbezogenheit zwar Erfolg generiert, doch gleichzeitig einen Leerlauf zur Folge hat.

Nichts interessiert mehr an der Welt da draußen. Das Künstler-Selbst gerät in die Falle einer hermetischen Kunstkaste. „But enough about me – let´s talk about my work“, spricht der Künstler zu seinem verstummten Gegenüber. Und dann spielt es schon eine Rolle, dass Kunath 2007 ausgerechnet nach Kalifornien ausgewandert ist. Eine sonnige Gegend, Heimat vieler Traumfabriken, vieler Verheißungen, „Anything Goes“. Die Hippeste: wechsle Deine Identität. Last Exit: „Just don´t be yourself“, wie die größte aller großen Arbeiten Kunaths in den Ausmaßen von 248 mal 580 Zentimetern heißt. Ungemein attraktiv und desillusionierend, beiläufig wie eindrücklich, schmutzig und sehnsüchtig. Am Ende bleibt ein Juckreiz, eine umgedrehte Sehnsucht nach einer Welt, die nicht nur aus Verheißungen und Illusion besteht.

Klang-Kunst

Aus Lustprinzip mit Juckreiz, aus der Fülle von 1300 Werken eine erste konzise Sammlungspräsenation in den neuen Philara-Hallen zu destillieren, ist sicher eine verlockende Aufgabe. Katharina Klang hat ihr widerstanden. Die Sammlungskuratorin hat eine strenge, kluge Auswahl getroffen. Gerade mal 70 Werke werden in den weitläufigen Hallen gezeigt. Und doch, oder gerade deshalb, wirkt das Ganze wie ein großer Wurf. Von Andreas Schmitten zu Andreas Gursky, von Axel Wissel zu Björn Dahlem, von Mathias Bitzer zu Shannon Bool, Peter Buggenhout, von Gregor Hildebrandt zu Rashid Johnson, Markus Karstieß, Thomas Kiesewetter zu Alicja Kwade, Leigh Ledare, Kris Martin zu Florian Meisenberg, von Michael Sailstorfer, und Leunora Salihu zu Karin Sander, zu Tomás Saraceno und Daniel Steegman Mangrané, von Monika Sosnowska zu Pae White zu Johannes Wohnseifer, von Nathalie Czech, Ceal Floyer, zu Lothar Götz und Tal R, von Sebastian Riemer zu Thomas Ruff. Es ist ein Klang.

C.F.S.

Sammlung Philara, Birkenstraße 47, 40233 Düsseldorf

Fr. bis Mo. Führungen nach Voranmeldung, Di 16–20 Uhr ohne Führung

Rund um die Philara-Eröffnung bietet Düsseldorf eine Reihe von Ausstellungen mit Düsseldorf-Bezug.

Hier eine Auswahl:

Privatsammlung Rosi und Rudi Dahmen Ralph Berger und Gregor Schneider. Eröffnung 2. Juli ab 18.00 Uhr

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Andreas Gursky – nicht abstrakt, kur. von Marion Ackermann, Eröffnung 2. Juli

bis 14. Aug. läuft Henkel – Die Kunstsammlung

ab 24. Sept. – 8. Jan. 2017 Wolke und Kristall – Die Sammlung Dorothee und Konrad Fischer

Museum Kunstpalast  

Helmut Schweizer. Le Pacifique radio-actif, Präsentation der Neuerwerbung im Belvedere

NRW-Forum Düsseldorf

Düsseldorfer Fotoschule, New Color Photography und digitale Bildeingriffe: Die dritte Ausgabe des neuen Ausstellungsformats .ftlbr

gestaltet mit Ralf Brueck, kuratiert von Ralph Goertz – bis 21. August

Petition für den Erhalt des privaten Sammelns

Information zur Petition finden Sie hier
 

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Der den Beat hat

Den Beat haben, heißt einem ausgeprägten Rhythmus folgen. Dementsprechend hat Beat Wismer seinem (Vor)namen alle Ehre gemacht. Als Generaldirektor des Düsseldorfer Museum Kunstpalast, einem nur

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