“…breaks down“. Oder...

kommt ein Mann in die Galerie

Kommt ein Mann in die Galerie und blickt sich um. Putzt sich die großen Brillengläser, blickt sich nochmal um, sieht immer noch nichts und fragt darauf den jungen Galeristen: „Wo ist denn hier die Kunst?“

Die Antwort kennt inzwischen die ganze Welt, zumindest wenn die ganze Welt die Kunstwelt ist: „Sie stehen drauf!“, erwidert der Galerist. Der Mann verläßt daraufhin die Galerie, die an diesem Abend ihre allererste Ausstellung begeht, kopfschüttelnd. Der junge Bildhauer Carl Andre hatte einhundert quadratische Kupferplatten auf dem Fußboden verlegt. Sein 5 x 20 Altstadt Rectangle unterlief gezielt den damals gültigen Kunstbegriff, heute gehört es längst zur Sammlung des New Yorker Guggenheim Museums.   

Wo immer seitdem diese Geschichte erzählt wird, sind die Lacher auf Seiten des Galeristen. Der Besucher, der die Kunst nicht erkannte, ist jedenfalls der Gelackmeierte. Er hat sich schon durch seine Frage blamiert. Die Geschichte ist so schön, weil sie eine späte Replik auf ein altes Märchen ist. Das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Aus Eitelkeit und innerer Unsicherheit will der Kaiser partout nicht erkennen, daß er einem Schwindel aufsitzt, stattdessen gibt er seiner Begeisterung über die scheinbar schönen Stoffe Ausdruck. Der Schwindel fliegt erst auf, als ein Kind ruft „Aber er hat ja gar nichts an!“ Anders dagegen Schmalenbach, dessen Begeisterung für die neuen Concept-Art gar nihct erst aufkam. Es sollte sein letzter Besuch in der Galerie sein.

Die Szene spielte sich bekanntlich Ende Oktober 1967 im Kunstraum von Konrad Fischer in der Neubrückstraße12 ab. Fischer, vormals als der Maler Konrad Lueg hervorgetreten, hatte dort eine  Tordurchfahrt angemietet und zu einem gerade mal elf mal drei Meter großen Ausstellungsraum umgebaut. Doch sollte dieser Ausstellungsraum bald zu einer weltbekannten Adresse werden. Legendär die Namen der Künstler, die hier ihre erste Europa-Ausstellung oder sogar erste Einzelausstellung überhaupt erhielten. Carl Andre, Hanne Darboven, Richard Long, Bruce Nauman, Sol LeWitt, On Kawara, Lawrence Weiner und Robert Ryman. Mehr noch, die Galerie selbst wurde zum “art-object”, ganz wie es Robert Barry aus New York an Konrad Fischer schrieb: „The distinction between gallery, show and individual art work breaks down.“   

Und der Mann? – Nun hat ausgerechnet Marion Ackermann in ihrer wohl letzten Rede in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zur Eröffnung der Ausstellung „Wolke und Kristall“ den Mann enttarnt. Es war Werner Schmalenbach. Der war Gründungsdirektor der Kunstsammlung, also ein bedeutender Vorgänger und Museumskollege von Ackermann. Schmalenbach war zeitlebens stolz, in den fast dreißig Jahren seines Direktorats weniger als 200 Bilder gesammelt zu haben. – Meisterwerke des 20. Jahrhunderts, die er zu einer bedeutenden internationalen Kunstsammlung formierte.

Schmalenbach blöd, Fischer schlau?

Mit der „Sammlung Dorothee und Konrad Fischer“ holt Ackermann nun ein Konvolut von weit über 200 Arbeiten ins Haus. Während Schmalenbach ausschließlich Meisterwerke erwarb, kommen nun Auflagenobjekte, Editionen, Druckgrafik, Construction Drawings, Arbeitsskizzen, darunter viele Zueignungen an den Galeristen zu Hauf ins Haus. Mit der Ausrichtung des Hauses auf künstlerisch herausragende Einzelwerke wird gebrochen, die Konzeption der Schmalenbach´schen Gemäldegalerie, auf die sich Ackermann so gerne beruft, wird bei Seite geschoben. Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Schmalenbachs Antipode Konrad Fischer (Fischer beharrte apodiktisch auf seinem „sicheren Blick“, Schmalenbach schätzte die Auseinandersetzung über Qualität) gelingt dies mit großer Unterstützung durch eben jene Landesregierung, die einst (1961) die Staatsgalerie gründete und Schmalenbach zum Direktor bestellte. Ein Bruch, von dem niemand spricht.

Als Ackermann die Geschichte nun zum Besten gab, in der Schmalenbach blöd aussieht und Fischer sich ins Fäustchen lachen darf, hat sie diesen Bruch mit dem Kunstbegriff, den die Kunstsammlung lange Jahre vertrat und gegen manche Wiederstände hoch hielt, öffentlich bekundet. Der Applaus des Publikums, wie der anwesenden Polit-Prominenz war ihr sicher. Gegen den fast zwanzig Jahre jüngeren Konrad Fischer liess sie Werner Schmalenbach alt aussehen. Aber ist es wirklich nur eine Frage des Alters, was den Kunstgeschmack und den Kunstbegriff betrifft? – Ist ja nicht die Frage, ob über kurz oder lang Minimal und Konzept Art in der Kunstsammlung NRW landen. Von beidem erwarb schon Armin Zweite, Schmalenbachs Nachfolger von 1990 bis 2007. Doch suchte auch er herausragende Einzelwerke, um sie in die Sammlung aufzunehmen, so von Marcel Broodthaers, Donald Judd, Sol LeWitt, Carl Andre, Robert Morris oder Imi Knoebel. Zum Sündenfall wurde erst die Sammlung von Simone und Heinz Ackermans. Weil die Familie des Discounters „allkauf“ anstehende Erbschaftsteuern sparen wollte, bot sie Kunst im Konvolut an – und die Kunstsammlung griff zu. Alle 142, teils raumfüllenden Werke gingen auf einen Schlag ans Haus. Erbschaftsteuern spielen auch im Fall Fischer eine Rolle. Die Kunstsammlung als Steuersparmodell.

Und der Mann? Der machte um aktuelle Kunst ohnehin einen weiten Bogen und betrat die Galerie Fischer nie wieder. Aber nicht, weil er aktuelle Kunst verachtete; er wollte sie nur nicht gleich in die  Staatsgalerie aufnehmen. Aber nicht weil er risikoscheu war, sondern risikobewußt. „Das Kunstwerk“ sagte er gelegentlich, „provoziert seiner Natur nach das Urteil und appelliert damit an den Menschen.“ Er ist der Adressat des Kunstwerks und kann sich nicht entziehen, zu urteilen. Zur Kunst gehört also, daß sie unser Qualitätsurteil herausfordert. Und das Fehlurteil? Ohne Risiko – des Scheiterns beim Künstler, des Fehlurteils beim Betrachter – gibt es keine Kunst. Qualität sei insofern relativ, bekannte er durchaus selbstkritisch. Gerade bei der jeweils aktuellen Kunst stellt sich unausweichlich die Qualitätsfrage. Und weil das so ist, bleibt das, was wir Qualität nennen, mit dem Kunstbegriff gekoppelt. Der aber bleibt umstritten.

Indem er sich auf dem Absatz umdrehte und die Galerie Fischer verließ, nahm er das Risiko seiner künstlerischen Entscheidung wahr und die Herausforderung der Kunst an. Sicherheit, Gewissheiten, unumstößliche Wahrheiten lehnte er ab. Dafür liebte er die Auseinandersetzung über Kunst zu sehr.

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