Getauft 1924 in Brüssel auf den in aller Literaturwelt berühmten Namen Marcel, wurde dem jungen Mann eine Neigung zur Literatur in die Wiege gelegt. Nomen est omen. Anders jedoch als sein Namensvetter Marcel Proust betrieb Broodthaers Literatur auf höchst eigenwillige Weise. Ein anderer Marcel (Duchamp, geb. 1887 in Blainville-Crevon) kam in Spiel. So hatte Broodthaers die Wahl – und konnte sich lange nicht entscheiden. Die drei großen Marcel des 20. Jahrhunderts bilden jedenfalls das (ungleichschenklige) Bermudadreieck der westlichen Avantgarde.
Aufgewachsen in der französischen Kultur, begann Broodthears als homme de lettres. Schlug sich als Dichter, Schriftsteller, Journalist, Antiquar und Buchhändler durch, geriet aus purer Not in die Fänge der Kunst und trieb doch zeitlebens sein hintersinniges Spiel mit literarischen Andeutungen, mit Doppelsinn und Dekonstruktion, mit Worten und Objekten und wurde, Hoppla, zu einem der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Ein Mißverständnis?
Keineswegs. Als Nachfahre der Surrealisten und Konzeptualisten verstand er Poesie als „Störung der Weltordnung“ und ergriff der Not gehorchend die Gelegenheit, durch die damals gerade neu aufbrechenden Praktiken und Verfahren der Bildenden Künste, seine Poesie, die er ohnehin als „poetische Handlung“ verstand, in den Raum zu erweitern. Um sich mehr Gehör zu verschaffen, aber auch um endlich, mit vierzig Jahren Geld zu verdienen, stellte er 1964 bei einem befreundeten Antiquar erstmals aus.
Broodthaers wollte schon damlas nichts Geringeres als ein neues Alphabet der Künste schaffen und ließ in der Folge auch nichts unversucht. Was auch immer er probierte und sich aneignete, Malerei, Skulptur, Objektkunst, Drucktechnik, Fotographie, Film oder Projektionen, alles bei Broodthaers ist literarisch motiviert, poetisch fiktional und – super realistisch, Broodthaers erfand den poetischen Pop.
Wie kann es gelingen, ein solch vielseitiges, anspielungsgesättigtes Werk in einer musealen Ausstellung zu fassen, ohne das es eine Leseausstellung voller Vitrinen und Zettelkästen wird? Zumal sich die Broodthaers´sche „Störung der Weltordnung“ zunächst gegen die Weltordnung der Museen und ihren regiden Kunstbegriff selbst richtete. Broodthaers in einer derart opulenten, über vier Jahre am Museum of Modern Art in New York vorbereiten Retrospektive sehen zu können, ist eine seltene Gelegenheit und eine Wonne dazu. Kann (und will auch gar nicht) darüber hinwegtäuschen, daß Broodthaers sich gegen die Institution Kunstmuseum stellte, wie gegen den Künstler „als Autor“ zur Wehr setzte – nicht doch, um sich am Ende von diesem Institutionen als „Weltstar“ gefeiert zu sehen?
Am Eingang grüßen Palmen, bevor es hinab in die Katakomben des K21 geht. Unten Stimmen, das leise Surren und Rattern von Filmprojektoren, die Wände Schwarz. Hier zeigt sich einmal ein Vorzug des ins Basement verlegten Wechselausstellungsbereichs. Denn tief hinab geht es hier in den Broodthaers-Kosmos, in seine Vorliebe für das Ungewisse und Zwischenraumhafte. Das zeigen schon die frühen Filme, die wir staunend sehen. 1956, acht Jahre bevor er seine erste Ausstellung als Künstler in einer Buchhandlung-Galerie in Brüssel erhalten sollte, wendet er sich erstmals in einem Film einem anderen alter ego zu Kurt Schwitters, gleichfalls ein Grenzgänger zwischen den Künsten.
Broodthaers wurde zu einem zentralen Künstler, weil er, ungewöhnlich gebildet, intelligent und voller poetischem Esprit, Kunstkritik durch künstlerische Mittel betrieb. Trieb Subversion durch ein unendliches Spiel im Spiel, durch Spiegelungen des Ungespiegelten. Augenzwinkerndes Ein- und Ausblenden, Wechselspiel zwischen Verdecken und Aufdecken, zwischen Lug und Trug und harten Tatsachen, so ließe sich das Herzstück von Broodthaers´ Schaffen fassen, wie es schon in seinen frühes Filmen aufflimmert.
Die Ausstellung zeigt selten gezeigte Streifen, verfolgt sein Schaffen bis zu seinem frühen Tod 1976 in Köln durch einen weitgespannten Parcours von 13 Stationen. Wundervoll eingerichtet ist hier der „Wintergarten II“, sein erster „Décor“-Raum von 1974. Zur Eröffnung führte Broodthaers ein Kamel in die Halle des Museums, das er aus dem Zoo entliehen hatte, ließ den Einzug filmen. Den Film stellte er später zusammen mit Palmen, Gartenstühlen und Drucken von Wildtieren aus, um seinen Anspruch einer neuen Avantgardekunst zu verdeutlichen.
Zentral wird in Düsseldorf das Musée d´art Moderne, Département des Aigles gezeigt, das Broodthaers gegen die Machtposition des bürgerlichen Museums 1968 in seinem Brüsseler Atelier geründet hatte. Gleich drei Fortsetzungen und Folgen erlebte sein Anti-Museum für Moderne Kunst in Düsseldorf, wohin Broodthaers auch sein Atelier 1970 verlegte. Hier, im Untergeschoß des Wohnhauses Burgplatz 12 installierte er 1970 die Section Cinéma. In der Kunsthalle kam es dann 1972 zur umfangreichsten Präsentation seines Museums (Sektion der Abbildungen). Unzählige Adler, religiöse, patriotische, archäologische Darstellungen, Kitschfiguren, Werbeanzeigen, Comics wurde nebeneinander gereiht und jedes Stück mit der Aufschrift „Dies ist kein Kunstwerk“ versehen.Bis heute zählt diese Ausstellungen zu den bedeutendsten jener Goldenen Jahre.
Damit stellte Broodthaers nicht nur die Haupttaufgabe des Sammelns und Klassifizierens, sondern auch die Deutungshoheit der Institution Museum insgesamt in Frage. Doch gewinnt sein Widerspruch heute kaum mehr jene Sprengkraft, wie in den wilden Düsseldorfer Jahren.
Im Rückblick erscheint Marcel Broodhaers als Vertreter einer heute selten Spezies: dem Autodidakt, der von außen kommend und aus eigener Kraft heraus und der Kunst des 20 Jahrhunderts wesentliche Impulse zu geben vermochte. Wie Rousseau, Picasso, Duchamp, Max Ernst oder Balthus, bezog auch Broodthears wesentliche Anregung aus der Literatur. Dem großartigen Rückblick ist, wie könnte es bei einem Artiste-Litéraire anders sein, ein umfassender, gründlich recherchierter, wahrlich wundervoller Katalog beigesellt, die vierzehnte Station, vielleicht die wichtigste. Sehenswert – lesenswert, veritablement!
Lesen Sie mehr