Ruhe im Karton

Die Bundeskunsthalle in Bonn feiert 25 Jahre Überstehen

Als der Doppelkomplex von Bundeskunsthalle und Bonner Kunstmuseum am 17. Juni 1992 an der eigens dazu erfundenen „Bonner Museumsmeile“ eingeweiht werden konnte, war die Entscheidung für den Umzug nach Berlin längst gefallen. Keine 500 Meter entfernt, hatte der Deutsche Bundestag schon 1991 für Berlin auch als Sitz von Parlament und Regierung dt votiert. Schlappe für Bonn, Hauptstadtumzug nach Berlin. Seitdem liegt die „Kunst-und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland“, wie sich der Riesentanker an der B9 offiziell nennt, wie ein Erinnerungsstück, ein Vermächtnis aus Kanzler Kohls besseren Tagen vor Anker.

Helmut Kohl, der just am Tag des Jubiläums in seinem Haus in Oggersheim starb, war es, der diese erste große Bundeskultureinrichtung in Bonn auf Anraten seines Bauministers Oskar Schneider durchsetzte, den Architekten Gustav Peichl bestimmte und mit Pontus Hulten einen international versierten Intendanten anheuerte. Bis heute ist die Bundeskunsthalle, wie sich kurz nennt, die einzige staatliche Kunsteinrichtung in Bonn, im Rheinland, ja in ganz Nordrhein-Westfalen. Seit Kohls Zeiten ist auch der staatliche Zuschuß unverändert hoch (ca.16 Millionen Euro plus rund 4 Millionen Euro Einnahmen aus Eintrittskarten und Katalogverkäufen etc.). Auch die Konstruktion ist unverändert geblieben. Die mittlerweile sechzehn Bundesländer und die Bundesrepublik Deutschland sind alle gleich stimmberechtigte Gesellschafter. Alle siebzehn sind im Kuratorium auch bestimmend für das Programm, aber nur der Bund zahlt. So passt der Name des Haues nur bedingt. Es ist überhaupt eine typisch rheinisch-republikanische Zwischenlösung: Die Länder, die sonst auf ihre Kulturhoheit pochen, drücken hier, in der Bundesstadt Bonn, alle sechszehn Augen zu, solange der Bund die Zeche zahlt.

Eine Bundeskunsthalle ist das Vielhallengebilde überdies immer weniger, weil die Kunst gegenüber den großen, offenbar attraktiveren Ausstellungen zur erweiterten Kulturgeschichte bis hin zu Altstars aus Mode, Tanz, Film, bis zu Manga und Comic arg ins Hintertreffen geraten ist. Lang ist´s her, daß Pontus Hulten mit Territorium Artis den weiten Bogen der Gegenwartskunst von Marcel Duchamps bis Nam June Paik und Jeff Koons absteckte. Heute folgt eine Big-Name-Einzelausstellung der nächsten.

„Kunst ist immer auch ein Indikator für das geistige Klima eines Landes. Sie gibt Auskunft über dessen Fähigkeit, phantasievoll und kreativ zu handeln und sich neuen Herausforderungen zu stellen“, schrieb Bundeskanzler Kohl als Geleitwort im ersten Katalog des neuen Flaggschiffs der Bundeskultur.

Heute, 25 Jahre später, 326 Ausstellungen weiter und 18, 8 Millionen Besucher reicher, kam die Staatsministerin für Kultur und Medien aus Berlin und sprach von der „Generation Why“. Zur Beruhigung auf allzu viel beunruhigendes Warum hatte Monika Grütters dann doch den erlösenden Satz mitgebracht: „Provinziell ist allein die Frage, ob die Bundeskunsthalle in Bonn bleiben soll.“ Why not?

Zum Hauptthema wurde unversehens und scheinbar unverdächtig die „Öffnung des Hauses“. Was sonst? Nach oben und unten, nach allen Seiten, Bereichen und Belangen, für alle Moden und Medien, für Schüler und Studenten, für Behinderte und sonstige Benachteiligte. Solche „Kultur für alle“ kann, man hat es auch in dieser Halle schon erlebt, zum Einfallstor für jede Form der seichten Popularisierung werden, die noch jede Kunst und jedes Thema weichspült, auf daß die Busladungen herangespült werden, wie die Wellen an den Badestrand.

Denn das stärkste Argument für den Verbleib der Mehrzweckhalle in Bonn sind nun einmal die Besucherzahlen – und weniger ein ambitioniertes, auch strittiges Programm. In diese Richtung reichte auch Grütters „Geburtstagsgeschenk“. Alle unter 25jährigen sollen auf die Dauer von zunächst 25 Monaten einen Eintritt zahlen, über dessen Höhe sie nach Lust und Laune selbst bestimmen dürfen. Für die Mindereinnahmen kommt der Bund auf. „Ein Experiment“, lobte sich Grütters. Eher doch ein Trostpreis, darf man vermuten. Denn viel steht da nicht auf dem Spiel, wie es die beiden jungen Musiker der Band Grandbrothers, die gleich anschließend ihr Jubiläumsständchen gaben, freimütig gestanden. Noch keine einzige der Ausstellungen hatte sie, in Wuppertal und Bochum wohnhaft, bislang zu einem Besuch der Bundeskunsthalle verlockt.     

Heute, nach 25 Jahren hält die Bundeskunsthalle tapfer Kurs, in der Mitte der Fahrrinne möchte man sagen. Es hat gebraucht, bis sie ihre Spur gefunden hat, sie hat Krisen und Rückschläge einstecken müssen, manche Welle ging ihr da über den Bug, Wechsel an Deck gab es genug, schon halb stand sie auf der Rutschbahn Richtung Berlin und hat das Verhältnis zur Berliner Kulturbürokratie erst mühsam neu justieren müssen.

Doch das reicht Intendant Rein Wolfs, in der niederländischen Hafenstadt Hoorn geboren, bei weitem nicht. Er sieht sein Haus als Unikum. „Wir sind das Haus ohne Sammlung und wir sind nicht in Berlin“. Aus beidem will er einen Vorteil ziehen. „Der Bund”, sagt er, „bekennt sich mit der Bundeskunsthalle in Bonn zu seiner föderalen Grundordnung und zeigt, daß auch abseits von Berlin was geht: bundesweite, sogar internationale Ausstrahlung.“ Das ist sein Anspruch und sein Überlebensmandala und stimmt doch nur bedingt. Denn ausgerechnet die Bundeskunsthalle eine förderale Einrichtung zu nennen, verkennt, daß die Bundesländer nach wie vor nicht bereit sind, auch nur einen Cent nach Bonn zu geben.

Offenheit will Wolfs mit „Diversität und Vielfalt“ übersetzt sehen, aber keineswegs mit anything goes. Eine permanente Gradwanderung. Er möchte Vielfalt „positiv besetzen“ und das Programm noch stärker als bisher für allgemeine Themen öffnen, die man bisher kaum in Ausstellungsformaten sehen konnte: Das könnte spannende werden. Ober nur eine weitere Steigerungsform von populär. Dazwischen beharrt der Kunsthistoriker und in der Gegenwartskunst bestens verortete Museumsmann auf großen monografischen Kunstausstellungen. So wird Marina Abramovic´, der Königin der performativen Kunst, demnächst eine Ausstellung gewidmet und dann soll es tatsächlich doch zum Projekt „Schwabinger Kunstfund“ kommen, bei dem nicht nur die Sammlung Gurlitt gezeigt, sondern der ganze Fall Gurlitt hoffentlich einer Klärung zugeführt wird. Aber das hieße, alle offenen Fragen um die Provinienzforschung auf den Tisch zu legen und auch die Versäumnisse staatlicher Stellen nicht abermals unter selbigen fallen zu lassen. Diversivität schön und gut, Diskursivität noch besser. Intendant Wolf, gerade in die Ankaufskommission des Bundes berufen, stellt diese dann demnächst in seinem Haus vor. So geht das mit Vielfalt, positiv besetzt.      

Wo es schwierig oder gar haarig wird, scheut das Kuratorium oft zurück. Ruhe im Karton kann aber keine Lösung für die Bundeskunsthalle sein. Sonst stirbt sie noch an Langeweile. 

Das Bonner Kunstmuseum gleich nebenan, nach wie vor eine der gelungensten Hervorbringungen des Museumsbooms der achtziger und neunziger Jahre, macht vor wie es gehen kann. Es beschenkt sich und uns mit einer kleinen, aber anspruchsvollen Ausstellung zu Gerhard Richters Frühwerk. „Über Malen – frühe Bilder“. Diese Tiefenforschung ins unendliche Richter-Universum zwischen Malereineuerfindung und bildreflexiver Konzeptkunst führt eindrucksvoll vor Augen, wie Museum heute geht: Kluges Konzept, bestechende Bildauswahl, Beschränkung auf das Wesentliche. Das Kunstmuseum mit seinem Schwerpunkt Deutsche Kunst nach ´45 zeigt mit Richter, wie es geht, die eigene Tradition hochhalten und sich aktuellen Fragen öffnen. Glückwunsch beiderseits. 

Aktuell in der Bundeskunsthalle

Katharina Sieverding. Kunst und Kapital. Werke von 1967 bis 2017 bis 16. Juli 2017

Iran. Frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste bis 20. August 2017

Comics! Mangas! Graphic Novels! bis 10. September 2017

Aleksandra Domanovic bis 24. September 2017     

Dazu: Juergen Teller. Enjoy your life! bis 3. Juli 2017 im Martin-Gropius-Bau, Berlin

Touchdown. Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom bis 27. August 2017 in der KulturAmbulanz Bremen

Pünktlich zum Jubiläum wird auch die Doppelspitze des Hauses neu bestimmt. Zum 1. Januar 2018 wird Patrick Schmeing (48) neuer kaufmännische Geschäftsführer. Er folgt auf Bernhard Spies, der in den Ruhestand geht.

Die Ausstellung des Bonner Kunstmuseums Gerhard Richter Über Malen wird auch im S.M.A.K. in Gent (21. Oktober – 18. Februar 2018) und im Museum Wiesbaden (23. März – 24. Juni 2018) leicht verändert gezeigt.

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