Wahrlich keine Überraschung, die Entscheidung für Susanne Gaensheimer. Aber dann doch – nach monatelangem, sogar streng geheimem Gerangel der achtköpfigen Findungskommission unter dem Vorsitz des NRW-Staatssekretärs Bernd Neuendorf – eine Findung, fristgerecht vor der nächsten Landtagswahl: Eine gute Wahl, sogar eine hervorragende, nach Lage der Dinge die allerbeste.
Bei den angestrengten Verhältnissen im NRW Land darf man sich hier überaus glücklich schätzen, mit Gaensheimer (geb. 9. April 1967 in München) eine Frau (und zweifache Mutter) mit ausgeprägtem Ehrgeiz für die staatliche Kunstsammlung gewonnen zu haben. Ihre Qualifikationen als Kunsthistorikerin, Ausstellungskuratorin und Museumsdirektorin sind über alle Zweifel erhaben. Auch auf schwieriger Mission hat Gaensheimer bewiesen, wie sie mit großer Umsicht und Durchsetzungskraft ihre Vorhaben ins Ziel bringt.
Als Kuratorin des Deutschen Pavillons der Venedig-Biennale hat sie 2011 und 2013 ambitionierte, keineswegs einfache Vorhaben souverän zum Erfolg geführt. 2009 hatte sie den schon erkrankten Christoph Schlingensief ausgewählt, den Pavillon zu bespielen. Als der Künstler im Sommer darauf starb, inszenierte Gaensheimer gemeinsam mit Schlingensiefs Witwe Aino Laberenz ein allerdings gewagtes „Gesamtkunstwerk“. Die Bühne der Schlingesiefen Inszenierung “Die Kirche der Angst vor dem Fremden in mir” ließ sie in den zentralen Raum des Deutschen Pavillon versetzen. „Der Goldene Löwe“ war die international Anerkennung für Gaensheimers Bekenntnis zur Risko-Kunst. 2013 verfolgte sie im Französischen Pavillon mit dem chinesischen Konzeptkünstler und Regimekritiker Ai Weiwei, der deutsch-französisch-iranische Regisseur und Drehbuchautor Romuald Karmakar, der südafrikanische Fotokünstler Santu Mofokeng und der indische Fotojournalistin Dayanita Singh ihren transnationalen Ansatz von 2011 fort. Deutschland als aktiven Part eines komplexen, globalen Gefüges präsentieren, das durch internationalen Austausch gewinnt, lautete ihre vehement optimistische Devise.
„Wichtig ist mir dabei, dass es den Künstlern gelingt, unsere Perspektive zu erweitern und uns einen Zugang zum Blick des Anderen zu schaffen, teilweise auch auf unbequeme Weise“, ließ sie uns gaesheimerisch wissen. Wenn Gaensheimer spricht, hört sich das an, als spreche ihre eigene Presseprecherin.
Daß sich die Verhandlungen in der Düsseldorfer Staatskanzlei dann doch monatelang hinzogen, lag wohl weniger an einer harten Konkurrenz. Die Wunschkandidatin selbst wird sich ihren Wechsel nach Düsseldorf zweimal überlegt haben. Denn die Kunstsammlung NRW ist längt keine erste Adresse mehr. Die Aufbruchjahre seit 1961 unter Werner Schmalenbach längst Legende, die Konsolidierung und Erweiterungen unter Armin Zweite (Oktober 1990 bis Ende 2007) steckengebliebene Geschichte, die Öffnungsversuche nach allen Seiten unter Marion Ackermann (September 2009 bis Oktober 2016) eine Suchanzeige. Heute steht die Staatsgalerie des einst so kunstoffenen, ja kunstbegeisterten Nordrhein-Westfalen ziemlich orientierungslos da. Irgendwie scheint man im Land die Lust an der einst stolzen Gemäldesammlung verloren zu haben.
„Mit Kunst ist keine Wahl zu gewinnen“, dieser oft zu hörende Bannspruch nistet in den Köpfen vieler kunstferner Politiker, die andere gerne Populisten schimpfen und selber welche sind. Die wichtigste Bindung der Kunstsammlung, die zum Ministerpräsidenten des Landes, der qua Amt zugleich Vorsitzender des Kuratoriums ist, ist gekappt seit Hannelore Kraft das Amt versieht. Kein Wunder, daß sich da Ratslosigkeit breit macht, was sich mit der auf drei Spielstätten aufgespreizten Kunstsammlung überhaupt noch anfangen liesse. Zumal diese Galerie in der ungeliebten Landeshauptstadt des Bindestrich-Bundeslandes ansässig ist. Neid und Argwohn, die sich gegen diese Neugründung richten, kommen da nicht nur aus Richtung Köln.
Zwei der drei Spielstätten – das alte Ständehaus (heute K21) und das Galeriehaus Schmela – wurden der Kunstsammlung von der Landesregierung aufgenötigt als anderweitige Nutzungspläne scheiterten. An diese Bürden gebunden, wirkt die einst stolze Kunstsammlung wie der Albatros, dessen Flügel ihn am Fliegen hindern. Es wird zu Gaensheimers vornehmster wie heikelster Aufgabe zählen, die Verstrickung in diese Altlasten aufzulösen, um das Flaggschiff der Kunst in NRW wieder ins internationale Fahrwasser zu steuern. Mit großen Ausstellungen allein wird das nicht zu meistern sein.
Wohin die Reise?
Die Wahl Gaensheimers erscheint keineswegs als Ratschluß der Mutlosen. Man kann ihre Wahl kaum anders als konsequent nennen. Und das von beiden Seiten. Gaensheimers Weg an die Spitze einer Staatsgalerie, wie die Entscheidung der Kunstsammlung für musealen Konservatismus. Kontinuität ist Trumph.
Von Zweite kam die Empfehlung, die zur Wahl Ackermanns führte, Ackermann wiederum dürfte mehr als ein gutes Wort für Gaensheimer eingelegt haben. Allen drei gemeinsam ist eine Münchner Vergangenheit. Zweite war von 1974 bis 1990 Direktor des Lehnbachhauses, Ackermann von 1995 bis 2003 dortselbst Abteilungsleiterin, Gaensheimer dort erst Volontärin, dann von 2001 bis 2008 unter Helmut Friedel Leiterin der Sammlung für Gegenwartskunst. Friedels Nichte wechselte später als Nachfolgerin von Udo Kittelmann an das Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt am Main. Schon die erste bedeutende Düsseldorfer Kunstsammlung wurde einst im 16. Jahrhundert von einem Wittelsbacher Prinzen, dem seligen Kurfürsten Johann Wilhelm begründet. Seit sie nach München verbracht wurde, hegt man in die bayerische Residenz ohnehin besondere Beziehungen in Sachen Kunst-Transfer.
So diskret wie staatstragend Gaensheimer aufzutreten weiß, so unbeirrbar versteht sie ihre Ziele zu verfolgen. Das muß nicht unbedingt stromlinienförmig heißen. Eine ganz so bequeme neue Direktorin hat sich das einstige Kunstwunderland da nicht bestellt. „Neue, spannende Impulse“ verspricht sich jedenfalls NRW Kulturministerin Christina Kampmann von der neuen Direktorin. Welche genau sie da im Auge hat, bleibt einstweilen im Ungefähren. Indes könnte es bald spannender werden als der Minister lieb ist.
Drei Fragen
Kontinuität wird kaum reichen. Auch die Kunstsammlung NRW braucht eine Neuausrichtung, eine Verständigung darüber, wie sie eine sich in alle möglichen Richtungen ausdehnende oder ausufernde Kunst des 21. Jahrhunderts in ein Museumsformat fassen will.
Was soll aus dem K21 werden? Abgelegen und abgeschlagen eignet es sich bislang weder als Museum, noch als Ort für Wechselausstellungen.
Was soll aus dem Schmela-Haus werden? Das einstige Wohn- und Galeriehaus des großen Alfred Schmela, mag zwar eine Inkunabel der Architektur sein, aber was fängt eine staatliche Kunstsammlung damit an?
Wohin soll es mit der Sammlung gehen? Unter Ackermann segelte das Haus ins Mittelmaß. Das lag aber keineswegs an der Direktorin allein. Ihr fehlte weithin die Rückendeckung der Politik. Gaensheimer wird um Beides bemüht sein, um starken Rückenwind seitens der Politik, wie um verstärkte Kooperationen mit den großen Museen der Welt.
Oder wird es Gaensheimer bald so ergehen wie ihrer Vorgängerin? Als Marion Ackermann berufen wurde, war es der CDU-Kulturstaatsekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, der sie bestallte. In der Landtagswahl wenig später rutschte die kunstsinnige Rüttgers CDU auf 26,3 Prozent ab, die SPD brachte es auf 39,1 Prozent und Hannelore Kraft an die Macht. Nun saß Bernd Neuendorf (SPD) der Auswahlkommission vor und wählte Gaensheimer – und Mitte Mai stehen wieder Wahlen an.
Ihre Dissertation schloß Gaensheimer 1988 mit dem Thema „Sexualität und Destruktion. Aspekte der Gewalt im Werke Bruce Naumans“ ab. Da wirkt der 17 Millionen Ankauf der Sammlung von Dorothee und Konrad Fischer wie ein roter Teppich, auf dem Susanne Gaensheimer am 1. September ins granit-schwarze Haus am Grabbeplatz Einzug hält.
Man darf hoffen, daß Susanne Gaensheimer Bedingungen und Etats in Düsseldorf gründlich ausgehandelt hat.