Unverhofftes Revival

Grisebach zeigt den Rheinhafen Düsseldorf wie ihn Tata Ronkholz sah

Nachruhm ist eine unsichere Bank. Bisweilen kommt er überraschend, oft bleibt er gänzlich aus. Sicher ist da nur: Ist der Künstler einmal tot, wird das Ausmaß der Produktion überschaubar, vor allen bleibt sie begrenzt und wird gewissermaßen rar. Das gilt besonders für Fotografen, deren Werk prinzipiell beliebig oft vermehrbar ist.

Der Fall von Tata Ronkholz bietet da einigen Aufschluß. Als eine der ersten Studentinnen fand sie im Sommer 1977 Aufnahme in der Foto-Klasse bei Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie. Doch mit Ende ihres immerhin achtjährigen Studiums gab sie die Fotografie auch wieder auf und starb nur zwölf Jahre später in Köln. Ihr Werk ist schmal, ganze vier Werkgruppen sind entstanden: der Rheinhafen, die Trinkhallen, die Läden und die Industrietore. Um Tata Ronkholz wurde es darum lange sehr, sehr still. Bis vor ein, zwei Jahren ein Ronkholz-Revival losbrach.

Schwer zu sagen, warum oder von wem das ausging. 2014 jedenfalls zeigte die Athena Foundation im KAI 10 im Rahmen der Quadriennale Düsseldorf eine ganze Wand von Ronkholz aus der Reihe Rheinhafen Düsseldorf (aus den Beständen des Düsseldorfer Stadtmuseums), dann 2016 die Kölner Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur die Trinkhallen im Zuge einer Hommage an die im Jahr zuvor verstorbene Hilla Becher. Im „Jahr der Trinkhalle“ wiederum zeigte das Museum DKM in Duisburg erneut die Trinkhallen (aus dem Ronkholz-Nachlaß und aus eigenen Beständen) in einer Einzelausstellung. In diesem Jahr folgen drei ungleich größere Auftritte. Den Anfang macht die Düsseldorfer Niederlassung des Berliner Auktionshauses Grisebach. Auch Volker Kahmen hat eine Ausstellung mit Ronkholz-Fotos im Kunstarchiv Kaiserswerth angekündigt (die zum Photo-Weekend mußte er wegen Hausschwamm im historischen Gebäude verschieben). Ab Ende April wird sich dann das Städel Museum in Frankfurt a.M. der “Becher Klasse” widmen. Mit gleich zwei Werkgruppen wird Tata Ronkolz dort vertreten sein. „Mit den Schülern der ersten Becher-Klasse und mehr noch mit ihren Lehrern, Bernd und Hilla Becher, verbindet sich eine der radikalsten Veränderungen der Kunst unserer Gegenwart in Bezug auf ihre ästhetischen, medial und ökonomischen Rahmenbedingungen“, heißt es vollmundig im Ankündigungstext des Museums. Nur waren Tata Ronkholz und schon gar nicht Andreas Gursky Schüler der ersten Becker Klasse. Gursky kam erst dazu als Thomas Struth oder Axel Hütte diese bereits wieder verlassen hatten. Und das mit der radikalsten Veränderung ist ein kunsthistorischer Evergreen, der stets erklingt, wo es um die Fotografie als innovatives Leitmedium der Moderne geht.

15 minutes of fame – es darf auch etwas länger sein

Der entscheidende Schritt zur Wiederentdeckung von Tata Ronkholz kam zweifelsohne aus dem Kunsthandel. „Warum geraten manche Künstler nach ihrem Tod in Vergessenheit?“, fragt der Van Ham Art Estate, eine wachsende Branche des ambitionierten Kölner Auktionshauses (AAA-Achenbach-Art-Auktionen, Part I-IV), um sogleich mit der Antwort auf die selbstgestellte Frage bei der Hand zu sein: „In vielen Fällen fehlt bei den nachfolgenden Generationen das Wissen, wie die Präsenz des verstorbenen Künstlers angemessen bewahrt wird. Dazu gehören Fachkenntnisse über den Kunstmarkt, der richtige Umgang mit Kunst und deren konservatorische Erhaltung, die Zusammenarbeit mit Museen und Galerien sowie der professionelle Kontakt zur Presse und regelmäßige Publikationen.“

Seit der Van Ham Art Estate 2001 den Nachlaß von Ronkholz übernommen hat, geht es steil bergauf mit der Beachtung, wie mit den Preisen. So kam es u.a. zu Ausstellungen in den beiden bedeutenden Fotografie-Galerien Thomas Zander in Köln und Kicken in Berlin. Von Ronkholz stehen bisher nur kleinformatige, allerdings handwerklich hervorragende Abzüge zur Verfügung, die Preise halten sich, ganz im Gegensatz zu den XXL-Formaten ihrer männlichen Kollegen, entsprechend in Grenzen. Ein Silbergelantineabzug aus der Rheinhafen Serie wurde zuletzt für 1600 Euro zugeschlagen. Im vergangen Jahr konnten die Preise für „Trinkhallen“ Fotos bei Grisebach auf deutlich über 9000 Euro klettern.  

Die in der Grisebach-Schau aufgerufenen Preise lassen sich wie ein Versuchballon deuten. Springen die Sammler in Düsseldorf an, wird das wie ein Hoffnungszeichen für den zuletzt arg gebeutelten Foto-Markt wirken. Die Auktionshäuser werden die Entwicklung darum genau verfolgen. 

„Das richtige Management eines Künstlers, auch posthum, entscheidet über dessen öffentliche Präsenz und damit über seine Reputation und seinen Stellenwert auf dem Kunstmarkt. Wenn dies nicht geschieht, gerät er schnell in Vergessenheit.“, so wiederum Van Ham. Bei Grisebach werden die ausgestellten 46 Hafenbilder und die sechs Industrietore zwischen 4500 und 5500 Euro angeboten. Anne Ganteführer-Trier, eine ausgewiesene Foto-Expertin, langjährige Mitarbeiter von Candida Höfer, seit 2013 ist sie Repräsentantin mit Schwerpunkt Fotografie und zeitgenössische Kunst bei Grisebach Auktionen, ist es gelungen, die Werke aus der Sammlung Bongartz für ihre Ausstellung in der Düsseldorfer Repräsentanz zu gewinnen. Ganteführer-Trier arbeitete zuvor in der SK-Stiftung Kultur, sowie bei Van Ham mit dem Ronkholz-Nachlaß. Wie heißt es dort: „Es bedarf Experten mit dem entsprechenden Wissen sowie einem ausgebildeten Netzwerk mit Kuratoren, Restauratoren, Galeristen und Journalisten.“

Im Ronkholz-Archiv bei Van Ham lagern einige hundert Werke, Negative und Kontaktabzüge, vor allen die Archivbücher, in denen Ronkolz ihre Motive akribisch auflistete und mit Daten versah. Daraus soll nun ein Werkverzeichnis hervorgehen. Im Archiv finden sich auch Möbelentwürfe. Denn Tata Ronkholz war vor und nach ihrer Fotografenausbildung als Produktdesignerin tätig.

In eigenem Auftrag: das Projekt „Rheinhafen“

„Seit ca. 4 Jahren photographieren wir unabhängig voneinander im Bereich der Architektur. Für das Projekt ´Rheinhafen Düsseldorf´ haben wir uns aufgrund seines Umfanges zusammengeschlossen. Das Landesmuseum Bonn zeigt im Juni unsere Arbeiten im Rahmen der Ausstellung „In Deutschland“. […] Wir bitten die Stadt Düsseldorf um Förderung dieses Vorhabens, zunächst zur Realisierung der Aufnahmen und darüber hinaus im Hinblick auf spätere Buchpublikation und Ausstellung.“, hießt es in einem gemeinsamen Schreiben von Struth und Ronkholz (damals noch Roswitha Tolle) an die Stadt Düsseldorf. Auch dieser Brief hat sich im Ronkholz-Archiv erhalten. Die Stadt sagte die Unterstützung zu und erteilte die Genehmigung, im damals noch gesperrten Hafengebiet zu fotografieren. Der selbstgestellte Auftrag der beiden Studenten konnte in Angriff genommen werden. Zur Ausstellung in Bonn „In Deutschland, Aspekte gegenwärtiger Dokumentarfotografie“ kam es 1979.

Kurator dieser Ausstellung war übrigens Klaus Honnef, der zusammen mit Konrad Fischer 1968 die Abteilung Concept Art auf der documena V verantwortete. Über die Teilnahme des Fotografenpaars Becher war es damals zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Kuratoren gekommen. Honnef hatte den Kürzeren gezogen. Die Bonner Ausstellung sollte dann eine Art Wiedergutmachung werden und Honnef hielt sich auch tunlichst an die Empfehlungen aus Düsseldorf. 

Immerhin umfasste der Düsseldorfer Hafen ein etwa drei Millionen Quadratmeter großes Gebiet mit gut 30 Silos und Lagerhäusern, sowie zahlreichen Gleisanlagen, Nebengebäuden und Ladekränen. Ronkholz verfolgte die dokumentarische Erfassung des Rheinhafens bald alleine weiter, denn Struth sich bereits anderen Projekten zugewandt. Ihre Fotos geben heute ein detailliertes Bild des Düsseldorfer Industriehafens vor seiner Umgestaltung zum „Medienhafen“ und hippen Ausgehviertel. Der Kontrast der ärmlichen Baracken und Speditionsschuppen des alten Rheinhafens zu den glitzernden Gehry-Bauten oder Hyatt-Hoteltürmen, die heute dort das Bild bestimmen, könnte kaum größer sein.

Daß die Aufnahmen aus der „Becher-Schule“ stammen, oder einer Becher-Linie entsprächen, sieht man nicht sogleich. Vorherrschend ist das Interesse für Industriearchitektur. Auch sind es bei Ronkholz selten Einzelgebäude, die in den Blick geraten. Ronkholz zeigt die Bauwerke nicht frontal, noch gar in einer Abwicklung von allen vier Seiten in Becher-Manier. Die Hafengebäude werden nicht als “anoyme Skulpturen” gezeigt, sondern vielmehr als backsteinerne Zeugnisse einer Zeit gewürdigt als das Industriezeitalter noch in Blüte stand. Nichts erscheint hier nostalgisch oder in dramatisches Licht getaucht. So eigenständig Ronkholz´ Aufnahmen sind, die Fotografin bleibt ihrer selbstgestellten Aufgabe treu: Dokumentation. So sind auch ihre Schwarz-Weiß Aufnahmen menschenleer, ab und zu sind parkende Autos und Lastwagen zu sehen. Der Himmel über dem Rheinhafen ist neutral grau. Die Eigenständigkeit dokumentiert sich vor allem in den vielen hervorragenden Aufnahmen von Innenräumen. Hier verläßt die gelernte Innen-Architektin Ronholz den Pfad der strengen Becher-Observanz.

Bereits 1976 hatte der Düsseldorfer Stadtrat das citynahe Hafengebiet zum Entwicklungsgebiet erklärt und damit die alten Hafengebäude zum Abriß freigegeben. Mit dem Impuls, die vielfach leerstehenden Silos und Lagerhallen zumindest fotografisch zu würdigen, folgt Ronkholz zweifelsohne dem Anliegen ihres großen Lehrers Bernd Becher, der aus Trauer über den Abriß seiner heimatlichen Siegerländer Fachwerkhäuser und Industrieanlagen überhaupt erst zur Fotografie fand. So ist es gut möglich, daß man in Düsseldorf überhaupt erst durch das hartnäckige Interesse der Kunststudenten auf den Wert der historischen Hafengebäude aufmerksam wurde. Erst auf den brillianten Bildern wurde man sich des Werts der abbruchreifen Hafengebäude bewußt. Trotz alledem, trotz Denkmalschutz, wurde das markante Rhenus-Gebäude plattgelegt und was erst aus der Plange-Mühle auf der Weizenmühlstraße wird, wenn dort in ein paar Monaten auf sieben Etagen eine Privatklinik einzieht, wollen wir uns nicht ausmalen. 

Es mag nicht das geringste Verdienst von Tata Ronkholz sein, daß heute zumindest einige der alten Backsteinzeugen, Kaianlagen und Hafenkräne zwischen den neuen Glaspalästen und Betongetümen hervorlugen. Gewiss zum Vorteil des aufgekratzten neuen Hafenquartiers.

C. F. Schröer

Rheinhafen Düsseldorf – Photographien von Tata Ronkholz läuft bei Grisebach vom 4. Februar bis 31. März 2017 – Bilker Straße 4–6, 40213 Düsseldorf

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