„Ich habe Fragen an die Welt und die Wirklichkeit“

Ein Atelierbesuch bei Mareike Foecking

Fahrstuhl-Selfie. Mareike Foecking bei der Arbeit

Wir sind zum Frühstück im Atelier verabredet. Nicht ganz meine Stunde. Ich komme mit dem Fahrrad, die Tüte Brötchen am Lenker. Auf Überraschungen sollte man nie gefasst sein. Bahnhofsviertel Düsseldorf, Kleingewerbehof, Backsteinanbau ganz hinten, oben links. Über einer Zahnarztpraxis liegt das Atelier, die Assistentin öffnet, Mareike Foecking begrüßt mich. Anders als erwartet, die Assistentin heißt Nina Ditscheid, ist Lehrbeauftragte für Fotografie und teilt sich mit Foecking das weitläufige Studio. Ich gebe ihr die Tüte, wir bekommen Tee nach Wahl, Earl Grey in Beuteln, setzen uns vorne an den langen, ungedeckten Arbeitstisch. Das Frühstück kann beginnen.

Wieso wir bei Beuys beginnen? Foecking hat gerade den neuen Beuys-Film von Andres Veiel gesehen und ist ziemlich begeistert. Als sie 1986 die Bildhauerklasse von Irmin Kamp an der Kunstakademie bezog, sei Joseph Beuys gerade gestorben, erinnert sie sich. Sein Klassenraum stand noch unberührt mit „spürbarer Aura“, wenig später habe Lüpertz hier ein Professorencasino eingerichtet. Schon holt sie einen dicken Band Beuys-Texte, „Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle“. Wir blättern herum. Beuys feine, zeichenhafte Handschrift, die poetische Vorstellungswelt des Künstlers auf tausenden von Notaten, Zetteln und Briefen. Was soll ich sagen? Auf Beuys wäre ich gar nicht gekommen. „Erweiterter Kunstbegriff“, „Soziale Plastik“, hat Foecking aber offenbar bewegt und für die Kunst gewonnen. Die Plastik als Experimentierraum.

Von hier zur Fotografie ist es schon ein gutes Stück Wegs, denke ich. Immerhin ist sie heute die beste Kennerin der internationalen Photographie in Düsseldorf. Im Frühjahr ist sie für ein Forschungssemester nach Stanford eingeladen.  

Erstmal hat sie auf dem elterlichen Bauernhof in Burgsteinfurt/Münsterland mit Schreiben begonnen, erst Gedichte, später journalistische Arbeiten, gelegentlich hat sie auch Fotos gemacht. Kunst kam erst mal nicht vor. Wieso dann doch?

An der Kunstakademie wechselt sie bald in die Klasse von Magdalena Jetelowa. Von ihrer Lehrerin hat Foecking einen Satz gelernt und sagt ihn her: „Ihr könnt lesen und ihr könnt denken, aber ihr müsst auch arbeiten.“ Ab da wurde sie zur Bildhauerin und zu einer Künstlerin, die Fotografie und Rauminstallationen, digitale Medien und diskursive Formate als Teile ihrer experimentellen künstlerischen Arbeit sieht. Die Fotografie als Experimentierraum.

Schon an der Kunstakademie ging es ihr um die „Zwischenräume“ als sie ihre Schwarz-Weiß Fotografien vom Papier und von der Wand löste und als Teil einer Rauminstallation auffasste. Bei Babette Bangemann, der Leiterin der Fotowerkstatt der Akademie, hat sie den letzten Schliff als Fotografin erhalten, bevor sie im weiten Bogen um die Becherei ihre Eigenständigkeit suchte. Ohnehin war sie von John Baldessari weit mehr beeindruckt als von den in Düsseldorf dominierenden Dokumentaristen der Becher-Klasse.

Damals sei sie in der Independent Musik unterwegs gewesen. Als freie Fotografin hat sie für Musikmagazine gearbeitet. 1997 kam es für die „Spex“ zu ihrem ersten Titelfoto. Blind Date mit Christoph Schlingensief am Köln/Bonner Flughafen. Sie zeigt mir schnell das Bild auf ihrem Tablet: Schlingensief noch unergraut mit Sonnenbrille und dem später weltberühmten Bübchenlächeln.

Kennzeichnend für ihrer Arbeit ist, dass sie Fotografien auf mehrere, gleichwertige Weise aufbereitet. Ihrer unbändigen Lust am Diskurs und am diskursiven Denken entspricht es, medienkritisch zu arbeiten. Sie stellt die Fotografie als ein Medium vor, weniger als Material für wechselnde Ausstellungen – und die Betrachter vor Fragen, für die Antworten erst noch gesucht werden. „Der Besucher einer Ausstellung Mareike Foeckings kann die Bilder also auf den Wänden anschauen und dabei nachvollziehen, wie aus vielen einzelnen Fotos, die zudem ganz unterschiedlich gedruckt und appliziert sind, eine Installation im Raum wird“, schreibt zuletzt Wolfgang Ullrich, „während ein Betrachter eines ihrer Bücher Seite um Seite, jede Serie der Reihe nach, studieren kann und dabei vermutlich viel stärker verschiedene Eigenschaften der einzelnen Fotografien wahrzunehmen vermag.“

Die Bildhauer-Fotografin Foecking geht auf diese Weise experimentell der Frage nach, wie Bilder den Raum verändern, in dem sie sich ausbreiten und wie der Raum die Bilder verändert. Mit klug, kritisch, selbstbewußt, hätte ich schon mal drei Adjektive die nicht zu unterschlagen wären. Fehlt neugierig.

So reagiert sie schnell auf die einsetzende, dann sich immer radikaler auswirkende Digitalisierung. War doch die Photographie eine der ersten Branchen, die sichtbar digitalisiert wurde. „Den Prozess habe ich selbst miterlebt, inklusive der scheinbaren Demokratisierung der Photographie mit den Smartphones.“

Mit der Digitalisierung änderte sich nicht nur die Technologie, sondern es veränderten sich die Arbeitsprozesse, die Distribution, die rechtliche Situation, der Umgang mit Photographie überhaupt. Damit hatte sie einen neuen Ansatz für ihre künstlerische Arbeit wie auch für ihre Lehrtätigkeit gefunden, „immer ausgehend vom Bild und der Frage, welches Bild von Gesellschaft im Kontext mit der Digitalisierung entsteht, vermittelt wird oder neu entstehen könnte.“

Schon sehr bald nach dem Studium hat sie sich auch der Lehre zugewandt und erkennt auch diesen Zweig als Teil ihrer künstlerischen Existenz an. Über Bremen und Dortmund fand sie zurück nach Düsseldorf, wo sie seit 2014 als Professorin für Fotografie und Interdisziplinäre Bildkonzepte am Fachbereich Design der Hochschule Düsseldorf HSD lehrt. „Der Hinterhof der Kunstakademie“ kommentiert Foecking. Dabei bringt sie die Fotografie selbst in der Becher-Hochburg Düsseldorf gerade auf neue Touren. Mit ihren 100 Studenten erarbeitet sie Themen, Ausstellungen und Symposien, so realness über die Frage nach dem Wirklichen in der Fotografie, die „Digitalkonferenz“  Pre_Invent. Resistance as a digital project, oder das Symposium photography(no_on)photography zur kommenden Düsseldorf Photo (in deren Beirat Foecking mitwirkt), auf dem sie unterschiedlichste Positionen der aktuellen Fotografie zusammen bringen will. „Wie auch jedes Foto die Entscheidung über einen Bildausschnitt widergibt, wissen wir doch, daß es drumherum noch viel mehr gibt“. Ob die eigene künstlerische Arbeit, der forschend-theoretische Teil oder die Lehre, Foecking möchte nichts davon missen: „Ich fühle mich relativ frei. Ich mache es so, wie ich es will.“

An Beuys schätzt sie den neuen Begriff von Bildhauerei, die Poesie und die utopischen Ideen. Sie will „Raum für Diskurse“ öffnen und fühlt sich darin dem Düsseldorfer Bildhauer sehr verbunden. Form und Inhalt sind ihr gleichermaßen wichtig. „Ich habe Fragen an die Welt und die Wirklichkeit und versuche sie mit der Fotografie zu visualisieren und zu materialisieren.“

Der den Beat hat

Den Beat haben, heißt einem ausgeprägten Rhythmus folgen. Dementsprechend hat Beat Wismer seinem (Vor)namen alle Ehre gemacht. Als Generaldirektor des Düsseldorfer Museum Kunstpalast, einem nur

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