Haarsträubend

“Nachlass ist nicht Nachlass”. Warum Hauser & Wirth bei der weltweiten Vermarktung des Werks von August Sander mitmischt

„Wir fühlen uns geehrt und sind hocherfreut, gemeinsam mit Julian Sander die volle Verantwortung als Bewahrer von August Sanders berühmtem Erbe zu übernehmen“, freut sich Iwan Wirth, Galeriegründer und Präsident der weltweit operierenden Galerie Hauser und Wirth. Die Freude währte nicht lange, der Coup kann als mißlungen gelten, vorerst.

Kaum hatte die US-Filiale der Züricher Galerie Hauser & Wirth verkündet „die weltweite Vertretung des Nachlasses von August Sander… zu übernehmen“, gingen in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur im Kölner Mediapark die Ohren senkrecht nach oben. Der Konter aus Köln kam prompt:

„Im Dezember 1992 wurde der Nachlass von August Sander von der Kulturstiftung der Stadtsparkasse Köln, heute SK Stiftung Kultur der Sparkasse KölnBonn, erworben. Verkäufer des Nachlasses war Gerd Sander, der Enkel des Photographen und Vater von Julian Sander, der in Köln eine Galerie betreibt.“

In Köln wird der Sander Nachlaß gehütet wie sonst nur der Domschatz. Das Werk von August Sanders (1876–1964) gilt als das Zentralmassiv der Fotografie des 20. Jahrhunderts. Bis heute ist der Einfluß dieses großen Einzelgängers unverkennbar, zumal auf die kaum “Bescher-Schule”. Der Ankauf des August Sander Archivs 1992 führte überhaupt erst zum Aufbau der Photographischen Sammlung in Köln. Es umfasst 10.700 originale Negative, etwa 3.500 Originalabzüge, die originale Korrespondenz, die Privatbibliothek sowie Mobiliar und Teile der photographischen Ausrüstung. Die Photographische Sammlung betreut diesen Nachlass wissenschaftlich, stellt daraus Werke für Kunstausstellungen und für wissenschaftliche Publikationen bereit. Auch sämtliche am Werk von August Sander bestehenden Nutzungsrechte, die örtlich, inhaltlich und zeitlich unbeschränkt in ausschließlicher Form liegen seitdem bei der Photographischen Sammlung. Dieser Nachlaß wird bis heute ergänzt und bereits um einige tausend Vintages erweitert. Unmissverständlich die Leiterin der Photograhischen Sammlung, Gabriele Conrath-Scholl: „Die SK Stiftung Kultur und ihre Photographische Sammlung ist somit die einzige legitime Repräsentanz dieses Nachlasses von August Sander.“

Und Julian Sander? Der Urenkel wiegelt ab: „Fühlt sich an wie ein platter Reifen“. Seine Galerie gründete Julian Sander (1970 in Bonn geboren, in den USA aufgewachsen) 2008 in seiner Heimatstadt, neuerdings ist sie am Kölner Neumarkt (im Haus des Auktionshauses Lempertz) angesiedelt. Kaum einen Kilometer sind es von dort zur SK Stiftung im Mediapark. „Die hätten mich auch mal anrufen können“, beklagt der Galerist die Sprachlosigkeit unter den Kölner Sander Spezialisten. Alles eine Kommunikationspanne?

„Nachlaß ist nicht Nachlaß“, stellt er indes fest. Auch Museen und Sammler in aller Welt betreuten doch den Nachlaß von August Sander. „Meine Familie selbstverständlich auch. Wir sind schließlich eine Fotografen- und Händlerfamilie, und das nicht ganz unerfolgreich.“   

Stimmt. Tatsächlich hat sein Vater Gerd, der lange eine Fotogalerie in Washington und New York führte, als er Ende der 80er Jahre aus den USA zurück nach Köln zog, das Sander-Archiv an die SK Stiftung Kultur für einen Millionenbetrag verkaufen können. Genaue Zahlen nennt Conrath-Scholl nicht. Nach heutigen Preisvorstellungen ein Klacks. Der Kauf jedenfalls wird zum Grundstein für die Photographische Sammlung. Durch Neuankäufe, Schenkungen und Dauerleihgaben wiurde er schnell erweitert. Es kam zu Kooperationen mit dem Sammlerehepaar Wilde, Werke von Karl Blossfeldt und Albert Renger-Patzsch kamen hinzu. 1996 wurde der Vorlass von Bernd und Hilla Becher aufgenommen, der Nachlaß wird gerade von Max Becher geregelt. Bis heute steht das Sander Archiv im Zentrum der Sammlung. Sieben Mitarbeiter arbeiten in den Räumen im Mediapark. Etwa 40 Sander-Ausstellungen gab es seit 1993.

Zwar überträgt Gerd Sander 1992 alle Negative, dazu die Nutzungsrechte, von jedem Motiv aber lediglich den jeweils besten Abzug. Also bei weitem nicht alle Originalabzüge (Vintage Prints), die zu Lebzeiten Sanders erstellt worden sind, noch gar alle Neuabzüge (Modern Prints) durch Sohn und Enkel.

Julian Sander bewahrt im »Sander-Familien-Nachlass« einen großen Fundus an Vintages und Modern Prints, die sein Großvater Gunther Sander (1907 bis 1986) und sein Vater Gerd Sander (heute 77 Jahre alt) von den Glasplatten (Negativen) nach und nach erstellten. Dazu kommen Editionen und die „Mastersets“, also Neuabzüge, die zwischen 1990 und 1999 in maximaler Auflage von 120 das Motiv erstellt worden sind. Die Zahl der Werke, die Sander heute noch besitzt, kennt nur er – und hütet sie wie ein Betriebsgeheimnis. Nur Abzüge aus dem Familien-Nachlaß kommen über die Galerie Sander in den Handel und können Gegenstand der neuen Partnerschaft mit Hauser & Wirth sein.

„Wir wollen August Sander aus dem Fotogetto befreien“, umreißt er das Ziel der Marktoffensive. Auch soll Sander als Künstler nobilitiert werden. „August Sander war der erste Concept-Künstler“, sagt der Urenkel. Ein alter Hut, wo es darum geht, die Dokumentarfotografie aufzuwerten. August Sander selbst verstand sich zeitlebens als Dokumentarist, firmierte ab 1904 in Köln-Lindenthal, wo er zusammen mit seiner Frau Anna das “Atelier Greif” übernehmen konnte, unter “Photographische Kunst-Anstalt 1.Ranges August Sander”.

Neue Abzüge sollen einstweilen nicht auf den Markt gebracht werden. „Wir ziehen nichts ab“, beteuert Sander, verfügt er doch weder über die Rechte, noch über die Negative. Da die SK Stiftung außer Digitaldrucken nach Sander Motiven nichts verkauft, sieht er keine Konkurrenz zur Photographischen Sammlung.

Wie viele Werke August Sanders sich noch im Galerie-Besitz befinden, darüber schweigt Julian Sander, ebenso wie über die Preise, die für Sander-Fotografien zu erzielen sind. Für einen Originalabzug des Motivs „Handlanger“ aus Sanders wohl bedeutendsten  Porträtserie „Antlitz der Zeit“ und „Menschen des 20. Jahrhunderts“ wurden Ende 2014 auf einer Auktion bei Sothebys in New York  stolze 749.000 Dollar (Hammerpreis) bezahlt. Der seltene Originalabzug, 21 mal 14.8 cm groß aus dem Jahr 1927 stammte aus der Pariser Sammlung von André und Marie-Thérèse Jammes, der wohl größten Privatsammlung historischer Fotografien. Wer der Käufer war, blieb unbekannt. Aber das sei keineswegs der Höchstpreis. Im Handel seien noch weit höhere Summen für Sander Aufnahmen zu erzielen, weiß der Kölner Fotohändler.

August Sander verfolgte seit den 1920er Jahren sein Langzeitprojekt einer Bestandsaufnahme der deutschen Gesellschaft. Als Sander 1964 in Köln starb, hatte er sein Projekt nur im Anfangsstadium einmal, 1929, publizieren können. Einen ersten Rekonstruktionsversuch aller Aufnahmen unternahm 1980 Sohn Gunther, einen zweiten die Photographische Sammlung 2001. In einer siebenbändigen Prachtausgabe sind sie im Verlag Schirmer Mosel, München, erschienen.

Damals sind auch neun „Mastersets“ mit je 619 Motiven der berühmten Portraitserie entstanden, zwei Sets gehören dem Sander-Archiv, sieben der Galerie. Eine Serie hat Sander im letzten Jahr an das MoMa Museum of Modern Art in New York verkaufen können. Über den Preis will er lieber nicht sprechen, wohl jedoch über die Summe, die er für den nächsten Satz ansetzt: 3,2 Millionen Euro. Mit jedem verkauften Exemplar soll das Masterset teurer werden.

Die Photographische Sammlung hat sich zum Ziel gesetzt, das Gesamtwerk von August Sander umfassend zu erschließen, der Öffentlichkeit vorzustellen und für die Nachwelt zu erhalten. Im Obergeschoß seiner Kölner Galerie hat auch die neue August-Sander-Stiftung Quartier bezogen, alleiniger Vorstand ist Julian Sander. Ziel dieser Stiftung soll es sein, „die Pflege des kulturellen Gedächtnisses, das sich in August Sanders Werk manifestiert, an die folgenden Generationen zu vermitteln“. Dazu sollen bald auch Stipendien an junge Fotografen ausgelobt werden. Eine Konkurrenz zum Sander-Archiv sieht auch hier nicht. Außerdem: Negative verblassen mit der Zeit, weiß Sander, in 23 Jahren werden auch die Urheberrechte an Sander-Fotos erlöschen.

Electropop. YELLOW-Revival auf der Bühne

Dieter Meier ist Pokerspieler, Gastronom („Bärengasse“, Zürich), Biofarmer in der Pampa Argentiniens, Winzer, Großaktionär in der Schweiz und Electropop-Pionier. Für den Eidgenossen Meier ist der

Read More »

© 2022 All rights reserved