La Düsseldorf wird Electri_City

„Mein erstes Projekt nannte sich Piss Off, das war 1967“, erinnert sich Eberhard Kranemann, studierter Kontrabassist und streitbarer Verweigerer jeglicher musikalischer Normen (No Musik). Der Experimentalband Piss Off trat kurz darauf ein junger Querflötist namens Florian Schneider bei. Kraneman wurde – kurzfristig zwischen 1970 und 72 Mitglied von Kraftwerk als auch von NEU! „Ich suchte und fand Gleichgesinnte an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo wir alle studierten. Ich studierte Malerei bei Professor Rupprecht Geiger, die anderen kamen aus der Klasse von Joseph Beuys, Bildhauerei. In der Akademie haben wir dann auch zusammengeprobt, wenn man das so nennen will, und das hat Beuys gehört.“ Happening und Fluxus waren angesagt. Nam June Paik tanzte 24 Stunden lang auf dem Parnass in Wuppertal und brachte seine Robot Opera zur Aufführung. Beuys jedenfalls nimmt den neuen Sound sofort auf und fragt die Studenten, ob sie nicht mit ihm zusammen eine Performance zur Eröffnung machen könnten. „Haben wir gemacht, 1967 im Creamcheese“.

Das Creamcheese in der Neubrückstr.12, gleich nach der Eröffnung zum “Gesamtkunstwerk” hochgejubelt, ist viel mehr: „ein ganz heißer Schuppen in der Altstadt, natürlich auch ein richtiges Drogenloch – alles lief da ab.“ In der Tordurchfahrt des Hauses eröffnet Konrad Fischer wenig später seinen ersten legendären Ausstellungsraum. Alles und noch etwas mehr ereignete sich im denkwürdigen Sommer ´67, den sie drüben in Amerika auch gerne “summer of love” nennen.

Die Vier von der Kraftstelle. Besetzung 1970/71: Houschäng Néjadepour, Klaus Dinger, Florian Schneider-Esleben, Eberhard Kranemann (v. l.)

Die Vier von der Kraftstelle. Besetzung 1970/71: Houschäng Néjadepour, Klaus Dinger, Florian Schneider-Esleben, Eberhard Kranemann (v. l.)

Wer dabei war, erinnert sich an die „fantastische Zeit“. Es war die Zeit der APO und der Kaufhausbrände, der Hippies und der langen Haare, von LSD und Anti-Baby-Pille, von Uschi Obermaier, Rainer Langhans und Benno Ohnesorg, von Studentenrevolte und kosmischer Musik. Che Guevara wird im Dschungel erschosssen und Mao bricht in China die Kulturrevolution vom Zaun. Und ein Dorf am Rhein, liebevoll La Düsseldorf genannt, stieg gar nicht sanft noch leise zur Wiege der elektronischen Musik auf. „Es klingt selbst für mich, der ich dabei gewesen bin, ziemlich unglaublich, fast wie ein modernes Märchen: aber in unseren Proberäumen, Studios und WGs entstand der Sound, der um die Welt gehen sollte“, so Kraftwerk-Schlagzeuger Wolfgang Flür, wegen seiner eleganten Erscheinung, „der Italiener“ genannt.

Rudi Esch, Erz-Düsseldorfer, Gründer der Punk-Band Male, Bassmann der Krupps seit über 25 Jahren, hat es auf den Punkt gebracht: Electri_City: „Von außen betrachtet war Düsseldorf der Schmelztiegel elektronischer Musik, die Stadt erschien Außenstehenden wie die Schaltzentrale und vernetzte Kommandozelle der analogen Sounds; wir jedoch, die wir mittendrin waren, hatten eine ganz andere Sicht auf die Dinge.“

Aus dem Mißverständnis macht er ein dickes Buch, begibt sich auf den Weg zu den vielen, die noch Auskunft über die glorreichen Anfänge so ab 1967 oder 1974 (Autobahn) der bundesrepublikanischen Provinz-Welthauptstadt Düsseldorf geben können. Und hat sie fast alle (an die 50) bekommen und vernommen.

Aus dem Buch wuchs die Idee zur Electri_City-Conference. Im kommenden Jahr soll daraus sogar das Electri_City Festival werden.

eiskellerberg.tv hat Rudi Esch bekommen und vernommen. Walid El Sheikh (Sir Walter, Oh Baby Anna) hat für uns die Fragen gestellt und Esch auf der Baustelle der alten Anaconda Lounge in der Andreasstr.11 getroffen, um zu fragen, was er schon immer über Electric-Esch wissen wollte, aber bisher nicht zu fragen wagte.

ELECTRI_CITY Conference geht in die dritte Runde. Am 27./28. Okt. steht Düsseldorf ganz im Zeichen der elektronischen Musik. Auf dem zweitägigen Programm stehen im CCD Congress Center Düsseldorf Konzerte, Workshops, DJ Sets und Paneldiskussionen.

Lineup:
Anne Clark & Herr B / Robert Görl (DAF) / Ströme / Arctic Sunrise / Electronic Circus feat. Katja von Kassel / Creeps

Anna Clark ist eine der prägendsten Persönlichkeiten elektronischer Musik. In ihrer 40-jährigen Karriere zeichnet sie für so manche Weiterentwicklung des Sounds verantwortlich, experimentiert mit Punk-, Jazz- und Klassik-Samples und trift mit ihren politisch-kritischen Texten immer den Zahn der Zeit. Obwohl sie im letzten Jahr eigentlich ihre Live-Karriere beenden wollte, kommt sie für eine exklusive Show mit Herr B zur ELECTRI_CITY Conference.

Am Freitag, 27. Oktober, findet die Party „Time Warp@ELECTRI_CITY“ im Sir Walter statt.

Am Freitag darauf (3. Nov.) wird das Oh Baby Anna (Ex-Anaconda Lounge) mit einer Opening-Party an den Start  gehen.

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Hörtip

Anne Clark – Our Darkness

Creeps – Obscura

Kraftwerk – Das Model

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