Markus Eisenbeis versteht den WDR nicht mehr. Der Kölner Auktionator und Inhaber des Auktionshauses Van Ham kann die Entscheidung des Westdeutschen Rundfunks, die hauseigene Kunstsammlung bei Sotheby´s in London und Paris zur Versteigerung zu bringen, nicht verstehen: „nicht nachvollziehbar.“ Seine Enttäuschung sitzt tief. Erst wurde sein Haus vom WDR um ein Gutachten gebeten, um gut 60 Werke zu bewerten (geschätzter Marktwert zwischen vier und fünf Millionen Euro). Dann machte er dem Kölner Sender ein außergewöhnliches Angebot, verzichtete gänzlich auf die Einlieferergebühr und noch dazu auf einen Teil des Aufgeldes (Käufergebühr). Alles vergeblich. Der WDR hat entschieden, 48 Spitzenwerke in London versteigern zu lassen. Die Auktionsserie beginnt mit “Impressionist & Modern Art” am 21. und 22. Juni 2016 in London, wo zunächst 37 Werke zum Aufruf kommen werden. Der Rest wird in Paris folgen.
Die fällig Mehrwertsteuer und auch die Gewerbesteuer werden folglich den deutschen Finanzämtern entgehen. „Ich biete hier 50 Mitarbeitern Arbeitsplätze. Aber die mit Rundfunkgebühren bezahlten Kunstwerke des WDR will man dann doch lieber in London versteigern,“ ärgert sich Eisenbeis.
Zudem bezweifelt der Auktionator, ob sich die WDR-Werke überhaupt besser im Ausland absetzen lassen. Der WDR hat seit den fünfziger Jahren eine Sammlung dezidiert deutscher Kunst aufgebaut. Nur vereinzelt finden sich auch Papierarbeiten von Jean Dubuffet, Marc Chagall, Multiples von David Hockney. Der kostbaren Kern der rund 600 Arbeiten umfassenden WDR-Kollektion dürfte bei den Deutschen Expressionisten liegen, zumal den Brücke-Künstlern Otto Mueller, Max Pechstein, Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner. Mit 20 Werken ist Kirchner der am häufigsten vertretene Künstler. Dazu kommen größere Werke von Ernst Wilhelm Nay, Georg Meistermann und Christian Rohlfs. Das teuerste Bild ist vermutlich Max Beckmanns Gemälde “Möwen im Sturm” von 1942. Doch genau für diese Werke wäre in Deutschland, neben Van Ham haben sich auch das Kunsthaus Lemperz (Köln) und die Villa Griesebach (Berlin) um die WDR-Auktion beworben, ein ungleich größeres Interesse zu erwarten. Ob die WDR Rechnung also aufgeht, über den Verkauf ihrer Kunstsammlung möglichst viel Geld in die chronisch mauen Kassen zu bekommen, bleibt fraglich. Die Rosinen gehen ins Ausland, auf dem großen Rest bleibt der WDR wohl sitzen.
WDR-Intendant Tom Buhrow hatte 2013 angekündigt, Teile der hauseigenen Kunstsammlung zu verkaufen. Er bezifferte das strukturelle Haushaltsdefizit des öffentlich-rechtlichen Senders damals auf rund 100 Millionen Euro pro Jahr. 500 Arbeitsplätze müßten gestrichen werden. Der Verkaufserlös soll zur Schuldendeckung der defizitären WDR-Kassen dienen. Weil kurz danach auch Pläne für den Verkauf einer Kunstsammlung der ebenfalls öffentlich-rechtlichen NRW-Bank “Portigon” (vormals WestLB) für landesweite Empörung sorgte, gerieten Buhrows Verkaufspläne ins Stocken. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) kritisierte den Verwaltungsrat des WDR scharf und sieht „die Glaubwürdigkeit des Senders schwer beschädigt“ Sie rief den WDR „ausdrücklich dazu auf, die Planungen zu überdenken und verantwortungsvoll mit den durch die Gebührenzahler erworbenen Kunstwerken umzugehen“. Den Verkauf von Kunstwerken aus öffentlich-rechtlicher Hand will sie u.a. mit dem neuen Kulturgutschutzgesetz verhindern. In NRW will man mit der Auktion in diesem Frühjahr der Gesetzesnovelle offenbar zuvorkommen.
Die rot-grüne Landesregierung in NRW hat nun den geplanten Verkauf von WDR-Werken durchgewunken. „Keine Einwände gegen die Verkaufspläne des WDR”, heißt es aus dem Kulturministerium.
Zur Prüfung vorgelegt hatte der WDR dem NRW-Kulturministerium eine Liste mit 48 Kunstwerken vorgelegt. Doch die neue NRW-Kulturministerin Christina Kampmann (SPD) hat eine Eintragung in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes samt und sonders abgelehnt.
Ihre Vorgängerin Ute Schäfer hatte noch für zwei Werke das Verfahren zur Eintragung in das Verzeichnis eingeleitet, Beckmanns Möwen und Kirchners “Berglandschaft mit Almhütten”.
Der ehemalige NRW-Innenminister und jetzige Präsident der Kunststiftung NRW, Fritz Behrens, äußerte sich vage kritisch zur Freigabe: “Der Verkauf wird den WDR auch nicht retten.” Es sei “immer bedauerlich, wenn Kunst aus öffentlichen Sammlungen verkauft werden muss. Ich finde das nicht sehr schön.” Der kulturpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Oliver Keymis, unterstützt hingegen die Verkaufsabsichten: “Der WDR hat den Auftrag, ein relevantes Programm anzubieten. Kunst zu sammeln ist nicht seine erste Aufgabe.”
Die Glanzzeiten, da der WDR aus erwirtschafteten Überschüssen, eine eigene Sammlung aufbauen und Museen wie das Wallraf-Richartz-Museum und die Kunstsammlung NRW mit großzügigen Spenden zum Kunstankauf unterstützen konnte, sind lange vorbei. Der WDR erwarb Kunst seit den Fünfziger Jahren, wesentlich gehen sie auf den langjährigen politischen Redakteur und ehrenamtlichen Kunstbeauftragten des Senders Walter Vitt zurück. Damals kostete jener Kirchner um die 600 Mark. Später hing das Bild selbstverständlich im Büro des Intendanten Fritz Pleitgen. Womit sich Buhrow die leere Wand im Büro demnächst schmückt, möchten wir lieber gar nicht wissen.