Wo gibt es schon eine Halle von einem Bildhauer für Bildhauer gebaut? Vielmehr: Wie kommt eine ausgemachte Bildhauerin in einer Skulpturenhalle zurecht? Die in ihren Proportionen wie im Zusammenklang der Materialien wundervoll stimmige, bis ins Detail hinein ausgeklügelte Schütte-Halle bietet bei aller Purezza, bei aller gebotenen Schlichtheit und Offenheit wahrlich Tücken und Untiefen genug.
Bildhauern bleiben da zwei Möglichkeiten. Sie gehen gegen die Halle (wie zuletzt Richard Deacon) oder sie gehen mit ihr. Paloma Varga Weisz hat lange gezögert, die Einladung überhaupt anzunehmen und dann den zweiten Weg gewählt.
Seit ihrer ersten institutionellen Ausstellung in der Kunsthalle Bremerhaven und 2004 im Museum Kurhaus Kleve sehen wir hier erst ihre dritte Einzelausstellung in einem öffentlichen Haus. Es ist eine Werkschau über die ersten zwanzig Jahre ihres Schaffens geworden. Die ersten Werke, die die 1966 in Mannheim geborene Künstlerin hier zeigt, Hirsch, stehend und Kängeru, sind noch in ihrer Zeit an der Kunstakademie (in den Klassen bei Antony Cragg und Gerhard Merz) entstanden, die Cabinets der Serie Bois Dormant 2015 und das erschreckende Stil Life erst im letzten Jahr.
Aber es geht gar nicht um Chronologie, noch um Raumbewältigung. Nirgends verliert sich ihre Ausstellung in der Inszenierungsfrage. Die Werke stehen wie selbstverständlich im Vordergrund. Die Halle bietet ihr mehr oder weniger günstige Anhaltspunkte, Winkel, Wandnischen, Raumkrümmungen, um diese zur Wirkung zu bringen.
Atemberaubend ist ein hohes, etwas verschlissenes Wort vielleicht. Was immer sich über das noch junge Werk der Paloma Varga Weisz sagen läßt, welche Bezüge man auch nachweisen mag – von der mittelalterlichen Holzbildhauerei bis Louise Bourgeois, von Ernst Barlach und Käthe Kollwitz zu den Surrealisten, von Medardo Mosso zu Berlinde De Bruyckere zu Thomas Schütte – soviel man auch über ihre Schnitzkunst, ihre besondere Zuwendung zum traditionellen Werkstoff Holz, ihre Materialbehandlung und Materialbeherrschung (ob Tuschezeichnung, Lindenholz, Gips oder Keramik) erfahren will, ihren Figuren liegt eine Innigkeit zugrunde.
Diese Künstlerin scheut es nicht, einen besonderen Ausdruck, ein berührendes menschliches Maß, ja eine große Spannweite an menschlichen Gefühlen, mithin etwas immens Anrührendes in ihre Werke hineinzulegen. Das ist selten, zudem waghalsig und führen den, der es denn sehen will, vor atemberaubende Bildhauerwerke. Denn Paloma Varga Weisz betritt damit gleichsam vermintes Terrain. Ihre Innigkeit steht der vorherrschenden Coolness diametral entgegen. Ihr Vertrauen und Beharren auf der menschlichen Figur stehen einer Konzept-Kunst gegenüber, die im Supercool-Look nur mehr Boutiquen-Konzepte verkauft.
Indem sie menschlichen Ausdruck, Schmerz, Scheu, bald Ratlosigkeit, bald Trauer und Trübsinn in ihre Kunst aufnimmt, rührt sie unwillkürlich ans Sentimentale, ans Gefühlige und an Gefühlskitsch. Sie scheut das nicht. Große Kunst braucht das nicht zu fürchten. So sind Varga Weisz´ frühe Tierplastiken wie die späteren Kabinette und Stilleben berührend, aber keinseswegs sentimentalisch, sind berückend schön, aber nicht süß, sind beängstigend und doch voller humorvoller Anspielungen und sogar Witz. Sie schöpfen tief aus dem traditionellen Bildrepertoire und wirken doch überraschend ungesehen: breath-taking.
In die Mitte der Halle hat Thomas Schütte einen backsteinernen Pavillon gesetzt. Wie selbstverständlich nutzt Paloma Varga Weisz das Angebot, um hier eine Auswahl an 18 Aquarellen und Bleistiftzeichnungen zu zeigen. Wieder, wie ein Echo oder als Erinnerung an das Gesehene draußen, ein Reigen von frühen Papierarbeiten zu späteren, von sonderbaren Tiermotiven zu sonderlich menschlichen Motiven Gelbes Wesen, Alter Mann, Zwerg Pedro, Lockenfrau und Lockenmann. In der Mitte eine neue Variation des Beulenmanns. Da hockt die kleine, farbig gefasste Holzfigur auf seinem viel zu großen Küchenhocker und blickt hinaus ins weite Feld.
Man hat sich angewöhnt, mit der Kunst ungeduldig zu sein. Man fordert immer Neues, sogar Sensationelles. Der Hunger bleibt ungestillt. Schließlich treibt man sie in den Verschleiß. Wo ringsum die Kunstmessen in immer engere Konkurrenz geraten, erscheint da die Schütte-Halle zwischen den Tulpenfeldern beinahe wie ein Schauerstoffzelt oder eine schon unwirkliche Innehaltstation, Kunstinhalierungszelle. So kann das Weisz-Werk hier beinahe wie eine Ausnahme erscheinen, das sich Abseits des perturbierenden Betriebs mit langem Atem entwickelt und mit großer Sorgfalt vorgetragen wird, sich in langen Bahnen, weitausholenden Rückbesinnungen vollzieht. Kein Kunstmarkt, keine Professur, keine Mega-Ausstellungen bisher vermochten ihre Werk von seinem inneren Anliegen abzulenken.
Nun stehen ausgerechnet in diesem Jahre eine ganze Reihe an Großereignissen auf dem Programm, von Athen über Wittenberg und Venedig, bsi nach Kassel und Münstern. An Kunst kein Mangel, gewiss. Aber vielleicht ist das hier ja schon die beste Ausstellung in diesem Jahr.
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