Und Jimmy fand sein Glück am Rhein

Zur Dix-Schau „Der böse Blick“ in der Kunstsammlung NRW

Na also! – Wurde aber auch höchste Eisenbahn. Über neunzig Jahre nachdem Otto Dix seine rheinischen Abenteuer bestanden hat, um weiter nach Dresden, Berlin und ins Exil nach Hemmenhofen zu ziehen, gelingt der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen eine großartige Werkschau mit Fokus auf eben jene Goldenen Zwanziger, die Dix in Düsseldorfer erlebte und verewigte. Späte Wiedergutmachung und schöne Selbstbespiegelung, „geradezu zwingend“, wie Anette Kruszynski, die kommissarische Direktorin im Katalog so schön sagt.

Doch ist die Ausstellung auch das schönste Abschiedsgeschenk von Marion Ackermann, die von Stuttgart kommend, mit Zwischenstation in Düsseldorf nach Dresden gewechselt ist. Wie bedauerlich nur, daß eine Reihe an Hauptwerken fehlen, ja geradezu schmerzlich vermißt werden, darunter Die Kartenspieler, An die Schönheit, Bildnis der Eltern, das Bildnis des Düsseldorfer Anwalts Dr. Hugo Simons, vor allem die Triptychen Großstadt, sowie Der Krieg. Sogar das famose Bildnis Dr. Hans Koch blieb in Köln. Ohne diese Vermißten ist die Dix-Ausstellung eigentlich ein Trauerfall. Aber großartig ist sie eben immerhin. 

Düsseldorf tat Dix ausgesprochen gut. Die alte Kunststadt am Rhein zeigte sich dem rüden, ungeschliffenen Möchtegerndandy und Proletkünstler Dix gegenüber von ihrer allerbesten Seite, nahm ihn mit offenen Armen auf, künstlerisch wie intim. Und Dix drehte mächtig auf, tanzte durch alle Gassen wie auf geschliffenen Parketts, trieb sich bei den Huren rum, wie vor den Fabriktoren, auch auf der Kö („gestern Abend kotzte ich auf der Königsallee das halbe Abendessen aus.“), lernte die gelackte Gesellschaft kennen und wurde bald zum Star des “Jungen Rheinland”. In Düsseldorf konnte er aufatmen, sich künstlerisch austoben und beweisen, fand Galeristen, Gönner und Sammler und landete obendrein in den Armen von Mutz, seiner heißgeliebten, späteren Gemahlin Martha Dix.

Vor allem war er ganz munter”

„Von Dix stellte ich mir vor, da kommt ein junger Mann an mit lauter Pickeln und blonden Haaren“, erinnert sich Martha, Ehefrau des angesehenen Dr. med. Koch, Facharzt für Nieren- und Blasenleiden, zugleich Betreiber eines `Graphischen Kabinetts´, ambitionierter Kunstsammler und damit Mäzen. Unverhofft kommt oft.

„Er hatte wirklich blonde Haare, und vor allem war er ganz munter. Es stellte sich heraus, dass er wahnsinnig gut tanzen konnte. Hans fand das albern und machte extra noch Blödsinn. Grauenvoll. Ich war immer kolossal auf Tanzen aus, und es wurde nun beschlossen, ein Grammophon anzuschaffen. Wir haben also getanzt, und Hans hat gesoffen.“

Die Ehe der Kochs liegt in den letzten Zügen als Dix im Herbst 1921 endlich nach Düsseldorf kommen kann und das Grammophon aufdreht. Der junge Maler, der sich nicht mal die Fahrkarte für die Reise an den Rhein leisten kann, findet in Hans Koch einen kunstsinnigen Mann, der sich bereitfindet, die Reisekosten vor zu strecken. Als Gegengabe darf er ein Portrait von sich erwarten. Das bekommt er auch. Doch Dix, ganz ungeniert, nimmt auch seine Gemahlin dazu.

Eigentlich hatte Koch schon Conrad Felixmüller mit dem Portrait beauftragt. Doch der bleibt lieber in Dresden und schlägt ein geschätztes Jungtalent vor. Felixmüller ist Vorsitzender der Dresdner Sezession Gruppe 1919. Der um fünf Jahre jüngere Dix läßt sich von Felixmüller als Gründungsmitglied der links-revolutionären Künstlergruppe anwerben. Als der seinen jungen Freund drängt, der KPD beizutreten, reagiert Dix mit Schnauze: “Lassen sie mich mit ihrer dämlichen Politik in Ruhe – ich geh lieber in den Puff.”

Zu den Künstlern des „Jungen Rheinland“ unterhält der Dresdner Obersezessionist einen heißen Draht. Felixmüller hatte Dix in Heft 3 DAS EY bereits annonciert: „Man muß das Leben von der schlechtesten Seite kennengelernt haben und einsam geblieben sein… Otto Dix ist einsam, verzweifelt und arm. Er weiß, daß ihm seine Bilder kein Mensch abkauft; obwohl sie eine große künstlerische Kraft verraten.“

Zimmer frei bei Mutter Ey

Dix reist an. „Er kam mit fliegenden Capes, großem Hut und begrüsste mich mit Handkuss, für mich damals etwas sehr Außergewöhnliches“, zeigte sich Johanna Ey noch Jahre später mächtig beeindruckt. Im Zimmer hinter dem Laden, der später legendären Kunsthandlung Johanna Ey, Hauptquartier des „Aktivistenbundes 1919“, des „EY“ wie des „Jungen Rheinland“, stand für alle Fälle ein Bett. Hier bezieht Dix Quartier, öffnet sehr zur Überraschung von Frau Ey, der „mütterlichen Freundin bohèmer Jugend“ (so Künstlerfreund Gert Wollheim) seinen Pappkarton und zum Vorschein kommen: Lackschuhe, Parfüms, Haarhaube und weitere Accessoires für die Schönheitspflege. Auch sonst dreht Dix in Düsseldorf mächtig auf. Tagsüber widmete er sich seinem Portraitauftrag im Hause Koch, bereits Ende 1921 ist das Bild fertig.

Das Gruselkabinett des Dr. Koch – Das Portrait als Bloßstellung

Das Halbportrait zeigt den Arzt bei der Arbeit. Man sieht ihn in seiner Praxis, die Ärmel seines offenen Arztkittels bis über die Ellbogen hochgekrempelt, in den prankenartigen Händen hält er rechts eine Spritze hoch. In der Linken, in Höhe seiner Genitalien, hängt schlapp ein rotes Gummiröhrchen. Dix kennt Koch mehr aus den vertrauten Geständnissen von Martha, als persönlich. Er spielt auf zwei Schwächen des Mannes an, seine Morphiumsucht und seine Impotenz. Mitten im runden, aufgedunsenen Gesicht des Mediziners sitzt ein Zwicker, der ihn als beträchtlich kurzsichtigen Mann zeigt. Zwei klaffende Narben über dem rechten Backenknochen und ein weiterer Schmiss am unrasierten Kinn, weisen ihn als Mitglied einer schlagenden Verbindung aus. Auffällig ist das verstümmelte Ohrläppchen, das Dix groß in Szene setzt. Ein Kunstliebhaber sieht sich so lieber nicht verewigt. Ein Arzt, dem man Vertrauen schenken soll, wohl auch nicht.

Koch, Dix und die schönen Schwestern

Der Untersuchungsstuhl, im Bild groß in Szene gestzt, spielt auf eine Episode an, die sich in Berlin unmittelbar nach Kriegsende zugetragen hat. Dort lernt Koch in jungen Jahren die beiden bildhübschen Schwestern Maria und Martha Lindner kennen. Wohlbehütete Töchter aus wohlhabendem Hause. Maria wird seine Patientin. Er verliebt sich in sie, stellt aber fest, dass sie keine Kinder gebären kann. Also heiratet er deren jüngere Schwester Martha und gründet mit dieser in Düsseldorf eine Familie. Maria in Berlin überlässt er derweil seinem Freund aus Kriegstagen Karl Nierendorf, dem späteren Berliner und Kölner Galeristen. Die Ehe mit Martha, aus der zwei Kinder entstammen, läuft nicht besonders lang und nicht besonders gut. Als Dix in Düsseldorf ohne Pickel, dafür mit Lackschuhen auftritt, ist Martha hin und weg. Das Grammophon wird angeschafft und es wird getanzt, nächtelang.

Und was reitet Dix? – Spiesserhaß? blanke Eifersucht? – Wie auch immer. Widerlicher jedenfalls kann man den Mann kaum darstellen. Ein “Doctor Billig” aus Düsseldorf. Oder eben ein Bildnis, das das “wahre Gesicht” Kochs zeigt, gemalt mit “leidenschaftlicher Sachlichkeit” und Ausdruck “furchtloser Wahrhaftigkeit”, wie Ilse Fischer das Bild schon im Entstehungsjahr im Almanach DAS EY preist?

Typ oder “Menschentier”?

Dix sucht in seinen Portraits das Typische in der Überspitzung. Keineswegs will dieser Realist ein realistisches Abbild schaffen. Seine Sachlichkeit ist voller ungezügelter Leidenschaft. Ganz anders etwa sucht sein Kölner Freund, der Fotograf August Sander (1876-1964) mit streng sachlichen Menschbildnissen ein Zeitbild zu schaffen. Auch Sander sucht das Typische in den portraitierten Personen zu treffen. Doch welch ein Unterschied zwischen Beiden. Man vergleiche Sanders “Arzt” (1924) aus dem Mappenwerk Menschen des 20. Jahrhunderts mit Dix Arzt-Portrait! Während Sander sich verpflichtet sieht, in “absoluter Naturtreue ein Zeitbild unserer Zeit” zu geben, zielt Dix auf eine ganz andere künstlerische Wahrheit, gewonnen aus Oberfläche, Klischee, Übersteigerung und Verzerrung. Pure Provokation? Oder doch „Der böse Blick“ – wie es der Ausstellungstitel nahelegt?

„Der Verist “, wird der andere große Portraitist dieser Zeit, George Grosz, 1925 sagen, “hält seinen Zeitgenossen den Spiegel vor die Fratze…”. Dix läßt seinem Haß “gegen den `Bürger´ um uns und in uns” (Richard Huelsenbeck) freien Lauf. Sein erstes Auftragsbild, das riskiert Dix, ist jedenfalls alles andere als eine Werbung für weitere Portraitaufträge. Oder gerade doch! Immerhin sollte er bald zu einem der gefragtesten Portraitisten der Weimarer Republik aufsteigen.

Schon ein Jahr nach seiner Ankunft in Düsseldorf zieht Dix mit „Mutzli“, wie er Martha liebevoll nennt, zusammen. Dix läßt sich seinerseits gern Jim oder auch Jimmy rufen, in Anklang an den Shimmy, oder Hootchy-Kootchy, ein irrer Modetanz, der gerade aus Amerika die Runde durch Europa machte. Im Februar 1923 gibt es groß was zu feiern. Das Paar begeht Hochzeit. Wird auch Zeit, Tochter Nelly kommt im Juni in Düsseldorf zur Welt.

Dix ist der bedeutendste Neuzugang zur rheinischen Kunstszene der Zwanziger Jahre. Im Jahr, in dem es den gleichaltrigen Max Ernst von Köln nach Paris zieht, übersiedelt Dix von Dresden nach Düsseldorf. Hier wird er zur zentralen Gestalt einer überaus lebendigen Kunstszene, die gerade dabei ist, das revolutionäre Gären nach dem Ersten Weltkrieg auf ihre besondere, rheinische Weise zu verarbeitet. Mit Dix wird Düsseldorf für die kurze Dauer von gut vier Jahren tatsächlich zu einem Kunstzentrum der Moderne. Die Rheinprovinz erhält Anschluß an die internationale Entwicklung. Auch für Dix ergeben sich in Düsseldorf vielfältige Anregungen und enge Künstlerfreundschaften. Er entwickelt sich vom „Proletkünstler“ zum bedeutenden Grafiker (Meisterschüler an der Kunstakademie bei Heinrich Nauen, der Grafikzyklus „Der Krieg“ entsteht 1924), Aquarellisten. Aus Dada-Dix wird ein scharfsichtiger, cooler Portraitist der der “Neuen Sachlichkeit” mit altitalienischen Maltechniken surreale Lichter aufsetzt. 

So aufgeschlossen man sich In Düsseldorf Dix gegenüber zeigte, später hat man ihn übergangen, vergessen. Ganz im Gegensatz zu Max Ernst und Paul Klee, den beiden anderen bedeutenden Meistern der Moderne, die in Düsseldorf Station gemacht haben, findet er keine Beachtung mehr. Werner Schmalenbach, wie auch sein Nachfolger Armin Zweite, machte stets einen Bogen um Dix. Erst Marion Ackermann hat Dix´ Bildnis „Johanna Ey“ ab 1999 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen präsentiert. Zunächst als Leihgabe aus Privatbesitz, kann das Bild nun bald fest in die Sammlung aufgenommen werden.

Auch das Düsseldorfer Kunstmuseum (heute Museum Kunst Palast) hat, nach dem Verlust ihrer durch Hans Hupp begründeten „Galerie der Neuzeit“, Dix nie besonders gewürdigt. Bereits ab 1936 wurden unter Druck der Nationalsozialisten Dix-Bilder aus Museumsbesitz verkauft. Weitere Gemälde und graphische Werke gingen 1937 dem Museum durch die Aktion „Entartete Kunst“ verloren. Auch in Köln fand Dix in der Nachkriegszeit keine angemessene Würdigung mehr. Das Bild „Der Schützengraben“, zur Neueröffnung des WRM Ende 1923 noch die Hauptattraktion, wird im Jahr darauf als “Monstrum” verunglimpft und 1925 aus dem Museum entfernt. In der Femeausstellung “Entartete Kunst” werden 1937 acht Gemälde von Dix zur Schau gestellt, “Der Schützengraben” unter der Überschrift “gemalte Wehrsabotage” erst in München und in der Folge auch im Ehrenhof in Düsseldorf. Im Kriegsjahr 1940 verlieren sich die Spuren dieses Werkes, es gilt als verschollen. Auch das durch die Galerie Johanna Ey vermittelte Doppelportrait „Bildnis der Eltern“ wird aus dem WRF beschlagnahmt. Insgesamt ziehen die Nazis 260 Werke von Dix aus den öffentlichen Sammlungen ein. Beide Städte haben sich nie sonderlich um den Rückerwerb von Dix-Bildern bemüht, auch keine gemeinsame Dix- Ausstellung zustande gebracht. So bleibt es das Verdienst der Galerie Remmert und Barth in der Düsseldorfer Altstadt, die Bedeutung der Dix Jahre in Düsseldorf erkannt und in vielen Ausstellungen („Von Nolde bis Dix“ 1995, „Dix in Düsseldorf“ 2011 und zuletzt „Otto Dix. Bilderbuch für Hanna“, 2016) gewürdigt zu haben.

Goldene Zwanziger?

Kaum ist Dix in Düsseldorf angekommen nimmt die Inflation Tempo auf, sie galoppiert, wie es damals heißt. In der] Hyperinflation ist an Verkäufe kaum zu denken, Dix verlegt sich auf Grafik, aufs Aquarellieren zumal. Neben elegant abstoßenden “Hurenbildern” und härteren Salonszenen scheint Dix die häusliche Idylle außerordentlich zu schätzen. Eine ganze Reihe zauberhaft sanfter, harmonischer Kinderbilder und Portraits seiner geliebten Martha, mit der er schließlich sein Leben lang verheiratet bleiben wird, entstehen. Die Söhne Ursus (1927 in Berlin) und im Jahr darauf Jan (in Dresden) werden geboren. Als die Nazis die Macht übernehmen, verliert Dix als einer der ersten Kunstprofessoren sein Lehramt und wird zum „entarteten Künstler“. Als die Lage auch für das Leben der Familie Dix immer bedrohlicher wird, weicht man an den Bodensee aus. Erst finden sie auf Schloss Randegg Unterschlupf, bis man sich 1936 auf der Höri im Dorf Hemmenhofen ein eigenes Haus bauen kann – keine fünf Kliometer sind es bis zur Schweizer Grenze. Im Haus in Hemmenhofen leben Dix und Martha und Nelly, bis Ottp 1969 in Singen (Hohentwiel) einem Schlaganfall erliegt.

Dix – ein politischer Künstler? Oder verpasste Chance für die Ausstellung

Wie kann ein Künstler wie Dix sich da heraushalten? Zwischen Puff und häuslicher Idylle, zwischen Fabrikschornsteinen und Zigarrenqualm in besseren Salons gibt es schließlich auch die Schützengräben, die Inflation und bald schon die Anfeindungen der aufkommenden Nazis. Die Frage spitzt sich bald zu: Sind seine künstlerischen Aufzeichnungen aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs realistische Darstellungen, also “Kriegsbilder” oder verzerrende, propagandistische “Anti-Kriegsbilder”?

Welche eine Steilvorlage für die Düsseldorfer Ausstellung! Auch diese läßt die Kuratorin liegen. Anders als Grosz weigert sich Dix in die neugeründete KPD einzutreten und hält sich zeitlebens von Parteien und Polikt fern – so gut das in schweren Zeiten nur geht.

Dix sah sich von seinen Erlbnissen an der Front “verfolgt”. Seine Bilder  aus dem Kierg sind also in erster Linie persönliche Krisenbewältigung. Nnoch während er selbst seinen Kriegesdienst in den Schützengräben in Nordfrankreich versieht, zeichnet Dix jede freie Minute das Grauen um ihn herum. Aber sind sie auch Warnung vor dem Krieg? Als der Bürgerkrieg in der Zwischenkriegsfahrt in Deutschland heiß wird, gerät auch Dix zwischen die Fronten. Seine Zeichnungen, Radierungen und Gemälde vom Krieg werden nun zu den krassesten, schärfsten Anti-Kriegsbildern, mal als Abschreckung vor neuerlichem Greuel geschätzt und gefeiert, von rechts dagegen als “Wehrkraftzersetzung” und Defätismus verfemt. Und selbstverständlich äzt Dix mit seinem Eigensinn und seinen Auftritten, seinem Lebenswandel, wie mit seinen Bildern gegen die aufsteigende “Braune Soße”. Schon im Februar 1933 entfernen sie ihn aus der Dresdner Akademie. Als Akt des Widerstands malt Dix daraufhin Die sieben Todsünden. Auch dieses großartige Schreckensbild (heute in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe) ist nicht in Düsseldorf zu sehen.  

Als Dix in Düsseldorf ankommt, ist er keine dreißig Jahre alt. Die vier Jahre in Düsseldorf sollen auch künstlerisch zu einer äußerst produktiven Zeit werden. Neben den Kriegsbildern, die in gegenseitiger künstlerischer Anregung und Freundschaft mit den gleichfalls vom Fronterlebnis des Weltkriegs traumatisierten Otto Pankok und Gert Wollheim entstehen, entwickelt sich Dix in Düsseldorf zu einem der bedeutendsten Grafiker seiner Zeit. Die große Grafikmappe “Der Krieg” ist in der Düsseldorfer Ausstellung hervorragend präsent. Über 400 Aquarelle entstehen. Mit flirrender  Leichtigkeit bieten sie Einblicke in die Abgründe des Großstadtlebens. Koch erwirb früh gleich zwei solcher Szenen, Salon I und II. Düsseldorf sollte sich Dix auch zu einem großartigen wie eigenwilligen Portraitisten entwickeln. Zu den Bildnissen der Düsseldorfer Dix-Jahre zählen vor allem die Künstlerfreunde um die Galerie Johanna Ey, so von Adolf Uzarski, Arthur Kaufmann, mit dem 1923 er zu einer Reise durch Italien und Sizilien aufbricht, von Jankel Adler, Werner Gilles, Karl Schwesig, des Literaten Herbert Eulenberg wie der Familie Adalbert Trillhase. Die spindeldürre Tänzerin Anita Berber malt er ebenso, wie die wohlbeleibte Mutter Ey. Dazu kommen zahlreiche Selbstportraits. Das lebensgroße Doppelportrait mit Martha als Tanzpaar ist bis heute verschollen.

Als Dix sich 1922 einer Klage wegen “Unsittlichkeit seiner Bilder” ausgesetzt sieht, übernimmt der Düsseldorfer Anwalt Dr. Hugo Simons die Verteidigung. Vor dem Oberlandesgericht erklärt er, Dix male die Bilder so krass, um eine abbschreckende Wirklung zu erzielen. Dix wird freigesprochen. Sein Bildnis hat Simons nach seiner erzwungenen Flucht aus Nazi Deutschland begleitet. Zeitlebens hing es bei ihm im Schlafzimmer in New York. Zwei weitere Kunstsammler malt Dix in diesen Jahren, den Elberfelder Juwelier Karl Krall und Karl Nierendorf, der ihn später als sein Galerist in New York und Berlin vertreten wird. Sein Bild wird 1944 von SS-Truppen vernichtet.

Das Bildnis des Doktor Hans Koch markiert als Auftragsarbeit nicht nur den Auftakt seiner Düsseldorfer Jahre, es ist ein Schlüsselbild in gleich mehrfacher Hinsicht. Es berührt mit dem Dargestellten die große biographische Wende im Leben des Malers selbst. Es fällt in seiner schonungslosen Darstellung aus dem Rahmen. Der berüchtigte “böse Blick” Dix´ richtet sich hier erstmals auf ein ihm doch freundlich zugewandtes Modell, er richtet sich gegen es. “Furchtlose Wahrhaftigkeit”?

Die Bibliothek in Hemmenhofen schmückt zeitlebens das Triptychon „Großstadt“ (1927/8). Im großen Mittelteil hat Dix den wilden Düsseldorfer Jahren die Reverenz erwiesen. Die eleganten Lackschuhe gleiten übers gewienerte Parkett. Im Zentrum ein ausgelassen tanzendes Paar, Otto und Martha beim Quickstepp, Charleston, Black Bottom oder Shimmy. Mindestens zwei weitere seiner Düsseldorfer Weggefährten hat Dix ins Bild gesetzt. Gert Wollheim verstärkt die Jazzkapelle mit seiner Geige und Architekt Wilhelm Kreis, der 1924 in Düsseldorf Europas höchstes Bürohaus vollendet hatte, beobachtet nebst Gattin die bunt schillernde Szene vom Sofa aus. Kreis ist auch der Architekt des wohl pompösesten aller Düsseldorfer Ballsäle jener Zeit, Wer einen Blick in den “Rheingoldsaal” in der Rheinterrasse werfen möchte, bekommt einen Schimmer jener tanzvergessenen Zwanziger Jahre. Sehr wahrscheinlich, daß zur Eröffnung hier Otto und Mutzli einen Shimmy auf nagelneue Parkett legten. 

“…doch nicht ganz solch ein Vieh” 

Als die Dix nach Hitlers Machtergreifung ´33 in Dresden in Bedrängnis gerät, ist es Koch,d er ihnen seinen Sommersitz Schloß Randegg zur Verfügung stellt. Den hatte er 1923 auf Anraten seines Schwiegervaters Lindner für sieben Milliarden Reichsmark erworben, um Geld vor der Inflation zu schützen. Bis 1938 lebt die Familie Koch in Düsseldorf. Als der Krieg im Anmarsch ist, verzieht auch Koch mitsamt Familie und Kunstsammlung auf ihren Sommersitz nahe der Deutsch-Schweizerischen Grenze.

So wird Hans Koch zu einem der wenigen Sammler moderner Kunst in Deutschland, die ihre Sammlung vor dem Nazi-Bilderterror und den Auswirkungen des Krieges in Sicherheit bringen. Die bedeutende Sammlung – vor allem herausragende Arbeiten von Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner, George Grosz und Otto Dix zählen dazu – nimmt er mit auf Randegg. Dort stirbt Hans Koch am 1. Mai 1952. Seine Sammlung vererbt er seiner Frau Maria (gest.1968) und seinen beiden Kinder, die Martha einst in Düsseldorf zurückgelassen hatte. Enkel Titus ist heute der Schlossherr und betreibt im Schloss bis heute eine Galerie.

“Wissen Sie“ sagt Dix rückblickend, „wenn man jemand portraitiert, soll man ihn möglichst nicht kennen. Nur nicht kennen! Ich will ihn gar nicht kennen, will nur das sehen, was da ist, das Äußere. Das Innere ergibt sich von selbst. Es spiegelt sich im Sichtbaren. Sowie man ihn zu lange kennt, ist man irritiert. Die Unbefangenheit des Blicks geht verloren. Der erste Eindruck, den man von einem Menschen hat, der ist der richtige. Wenn ich sein Bild fertig habe, kann ich meine Einstellung eventuell revidieren und sagen: Nun, er ist doch nicht ganz solch ein Vieh, …”

C. F. Schröer

Dix wird in Düsseldorf zur Schwalbe eines Frühlings, der sich freilich erst wieder nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fortsetzen sollte. Erst in den fünfziger und frühen sechziger Jahren kommen als DDR-Flüchtlinge eine ganze Reihe bedeutender Künstler, zumal aus Dresden, nach Düsseldorf, um an der Kunstakademie Düsseldorf zu studieren oder zu lehren: Gerhard Hoehme (1952), Gotthard Graubner (1954), Günther Uecker (1955), , Hilla Becher (1958), Andreas Gursky (1955/81), Markus Lüpertz, Manfred Kuttner (1960), Sigmar Polke (1953/1961), Gerhard Richter (1961), Blinky Palermo (1962), Chris Reinicke, Imi Knoebel (1964). Mit A.R.Penck (geb. 1939) kommt Ende der achtziger Jahre erneut ein Maler aus Dresden nach Düsseldorf (Professur 1989 – 2005). Mit der Berufung von Eberhard Havekost (geb. 1967 in Dresden) 2010 setzt sich diese Linie bis heute fort.

Otto Dix
ist prominent vertreten in der Ausstellung
Surreale Sachlichkeit. Werke der 1920er und 1930er Jahre aus der Nationalgalerie Berlin
Sammlung Scharf-Gerstenberg – Schloßstraße 70, Berlin-Charlottenburg
bis 23. April 2017

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