Möchten Sie ablegen!

Das Museum Villa Zanders wird schlanke 25 und schenkt sich eine neue Einrichtung. Eine Gratulation

Es gibt diese Unsitte, überall mit Mantel, Jacke und Schal, sogar mit Rucksack und Regenschirm rein zu rennen. Die Leute stolpern mir nix, dir nix in die Restaurants, ins Theater, in die Oper, ins Kino sowieso, sogar ins Museum, ohne ihre sperrigen Wintermäntel, aufgeplusterten Steppjacken oder wenigstens die Labtoptasche vorne abzugeben. Als stehe man dauernd auf dem Sprung oder müsse allzeit zur Flucht bereit sein. Panik oder pure Wichtigtuerei? Oder Großstadtnomadengehabe? Bloß nicht ankommen!

Da starren die Garderoben, sofern noch vorhanden, vor Leere und wundern sich. Selbst auf privaten Partys kann man diesen Hang beobachten. Erst ziehen die neuankommenden Gäste eine ausgiebige Begrüßungsrunde durch alle Räume, begutachten die bereits anwesenden Gäste, selbstverständlich in voller Straßenmontur, bevor man sich eventuell entschließt, doch noch die Garderobe aufzusuchen. Oder besser gleich alles anlassen, damit man für die große  Verabschiedungsrunde gut gerüstet dasteht. Diese Auftritte haben derart zugenommen, daß es schon Empfänge in wohlbeheizten Lofts in Berlin gab, bei denen alle dick vermummt rumstanden als sei der Notstand ausgebrochen.

Dieser Unsitte will die nach gründlicher Renovierung endlich wiedereröffnete Villa Zanders etwas entgegensetzen: Die Garderobe. Eine Wiederentdeckung. Schließlich ist man sich im Jubiläumsjahr – seit einem Vierteljahrhundert dient die Ex-Fabrikantenvilla als Museum – etwas schuldig. Selbstverständlich gab es in besseren Haushalten eine Garderobe, sogar einen Empfangsdiener, eine Garderobiere, und selbsterständlich wurden die eintreffenden Gäste sogleich mit einem „Möchten Sie bitte ablegen“ begrüßt.

Tempi passati?

Da eine Villa eben über eine ordentliche Garderobe verfügt, hat man sich bei Zanders gleich zwanzig maßangefertigte Garderobenschränke aus Berlin bestellt. Maria Zanders, die Papierunternehmersgattin und weithin geachtete Salondame, hätte ihre helle Freude an dieser neuen Errungenschaft gehabt. Erst stand ihr stolzer Landsitz (1873-75 in vornehmen französischen Renaissancestil vom preussisch-königlichen Geheimen Baurat Hermann Otto Pflaume errichtet. Der ist übrigens auch der Architekt von Schloß Morsbroich im benachbarten Leverkusen) lange leer, sollte ganz abgerissen werden, wurde später erst Landratsamt, dann Gemischtwarenmuseum, dann geriet er in die städtischen Haushaltskürzungsstrudel und wäre darin beinahe untergegangen. Zum Glück tauchte dann die Idee mit dem Jubiläum auf. Auf ihre wundervoll dezente, aber unwiderstehliche Art bezirzte Petra Oelschlägel, Museumsdirektorin seit bald fünf Jahren, die Ratsherren und -Damen von Bergisch-Gladbach zu gleich zwei erstaunlichen Wendungen.  

Also orderte man die gläsernen Vitrinen und ersetzte den völlig abgewetzten Teppichboden tatsächlich durch nagelneues, geöltes Eichenparkett in Fischgrät. Bensberg mag das Schloß (eines Düsseldorfer Kurfürsten) haben, aber Bergisch-Gladbach hat die Villa Zanders, die sich in Konkurrenz zu den das Stadtbild überwuchernden Einkaufsgalerien neuerdings Kunstmuseum Villa Zanders nennen darf.

Kaum hat man dieses Kunstmuseum betreten, wird es auch schon ernst. Wie man inzwischen gelernt hat, weiß man in diesen Kunsthäusern ja nie, was Kunst ist und was nicht. Kaum hat man also seinen Mantel und sonstigen Utensilien brav in einer der gläsernen Garderoben verstaut, pardon, abgelegt, ist man schon in die Falle getappt. Mütze und Mantel, Handtasche und Regenschirm werden hier im Handumdrehen zu Ausstellungsstücken im Roten Salon zwischen den goldgerahmten Portraitschinken der Düsseldorfer Malerschule, etwa von Johann Wilhelm Lindlar und Carl Ludwig Fahrbach. Die Kleidungsstücke werden in den gläsernen Vitrinen auch zu persönlichen Spuren und „Portraitstücken“ der Besucher, die sich weiter oben im Haus auf die Spuren der Kunst begeben haben.

Akkuschrauber und Limoflasche

Hat man also unten seine sieben Sachen ordentlich in einer der Garderoben verbracht, kann man die breiten Stufen hinauf zur Bel Etage emporschreiten. Dort hat man sich sogar einen neuen Teppich geleistete, etwas Helles, Modernes. Was sich auf dem frisch polierten Parkett auch überaus schmuck macht. Eigenartiges Design vielleicht, so eine Art architektonischer Grundriß in Hochflor, über den man sich kaum zu laufen traut. Eine Art Orientierungsplan, der da unter einem Prachtexemplar von Kristallleuchter liegt. Nur ganz oben auf der dritten Etage muß irgendwie ein Lapsus passiert sein. Da hat der Handwerker seinen mobilen Einsatzwagen samt Akkuschrauber und Limoflasche einfach so auf dem Fischgrätparkett stehen lassen. Handwerker! – Am Ende auch das noch: Kunst?

Zur Wiedereröffnung und Umbenennung der Villa Zanders hat Petra Oelschlägel auch eine Jubiläumsausstellung ins Haus geholt. Sie hat dazu Karin Sander, gebürtig aus Bensberg gewonnen. Keine Ortsteilkünstlerin, sondern eine Hauptvertreterin der Rheinischen Konzept-Kunst, sogar ein ziemlich internationaler Star (wenn man ihre Vita liest s.u.). Im Unterschied zur puritanisch-amerikanischen Concet Art, ist die Rheinische Variante (mit Hans Haacke, *1936 in Köln,  Hans-Peter Feldmann, *1941 in Düsseldorf, erweitert kann man auch Marcel Broodhears, Diter Rot oder André Thomkins nennen) um Einiges weniger verbissen, ja sogar von einem hintergründigen Witz, daß sie leicht wirkt und darum auch leicht unterschätzt wird.

Fragen stellen

Bei allem will Sander nicht ulken und witzeln, nicht verwirren und besserwissen. Wohl aber Fragen stellen. Sie will uns nicht zum Narren halten, noch will sie uns an der Nase herumführen, auch wenn der Schalk ihr im Nacken sitzt. Der Eichenparkettboden, ist der auch der auch von Sander? Oder der neue Teppich im Treppenhaus? Der Einsatzwagen des Haushandwerkers? Klar die gerahmten Bilder da auf der ersten Etage, die sind offenbar Kunst. Aber was gibt es da überhaupt zu rahmen? Ach so, die neuen Garderoben im Hochparterre sind etwa auch von Sander? 

Rheinische Konzept-Kunst

Mit 500 „Haarzeichnungen“ hat Sander die Museumsräume bespielt, gepflastert. Auf den ersten Blick sehen die Blätter alle gleich aus. Und dann? Die Künstlerin hat je ein menschliches Haar auf ein Blatt Papier fallen lassen, einfach nur losgelassen, sie dem freien Fall überlassen, fixiert, hinter Glas gebracht, gerahmt und der Reihe nach an die Wand genagelt. Wo ist der Witz? In der Umkehrung des Gewohnten und Gewöhnlichen. Von ihrer Hand ging gar nichts aus, keine Handlung, keine Geste des Künstlers, des Schöpfers. „Kein Wurf, sondern ein Fall: Das ist eine kopernikanische Wende!“ (Gudrun Imboden)

Sanderbar!

Ein Gedankenblitz nur, ein Einfall in der ganzen Bedeutung von Inspiration, Begeisterung an dem, was ist. Jedes einzelne Haar ist von einer Feinheit, die es fast unsichtbar macht, und ist doch Träger unseres gesamten DNA-Codes. Wer Lust bekommt, die Haarzeichnungen näher zu betrachtet, dem fallen Unterschiede auf: mal wellig bewegt, mal schnurgerade, mal dick, mal dünn, mal Pechschwarz, mal Eisgrau oder Tizianrot. Aber natürlich stellt Sander auch zu gerne die ganze Kunst auf den Kopf. Mit einem einzelnen Haar macht sie eine Zeichnung, ganz ohne einen Bleichstiftstrich. Ja geht das überhaupt? Und schwups sind wir mittendrin in der unendlichen Geschichte, was ist Zeichnung, was ist Kunst? Ach hatte Richard Long nicht schon 1967 eine Zeichnung vorgelegt, indem er einfach über ein Rasenstück vor seinem Atelier lief? Ohnehin, was heißt hier schon einfach?   

Sparsame Eingriffe, geringe Abweichungen vom Normalfall sind Sanders Sache. Witz und Hintergrund gibt es gratis dazu. Damit immerhin geizt die Künstlerin keineswegs. Concept art ist genau das, was nicht so wie Kunst aussehen will, aber genau darum doch welche ist.

So auch hier. Alles ist Kunst, was schön gerahmt an der Wand hängt, oder auf einem Sockel ruht und (fast) alles, was gar nicht so aussieht wie Kunst. Am Ende wohl noch der Materialwagen von Herrn Killmer.

Da sträuben sich die Haare hinter den Glasscheiben, das Parkett biegt vor Vergnügen und der Kristallleuchter beginnt lüstern zu klirren. Die Klamotten in den schönen neuen gläsernen Garderoben unten im Hochparterre beginnen befreit von ihren staunenden Trägern ein Eigenleben. Auch sie spielen auf einmal Kunst. Sanderbar!

C.F.Schröer

Karin Sander

geboren 1957 in Bensberg, Nordrhein-Westfalen, lebt und arbeitet in Berlin

studierte von 1979 bis 1987 an der Freien Kunstschule und an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart,

erhielt 1989/1990 ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für New York, wo sie das International Study/Studio Program (ISP) des Whitney Museum of American Art besuchte, den Villa Romana Preis, Florenz und den Rom-Preis 2015 der Deutschen Akademie Villa Massimo, Rom,

wurde eingeladen zu Gastprofessuren u. a. an die Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe, die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart sowie am CalArts (California Institute of the Arts, Los Angeles),

bekleidet seit 2007 den Lehrstuhl für Architektur und Kunst an der ETH Zürich

ist bekannt für konzeptuelle Arbeiten wie Zeichnungen mit Büromaterialien, polierte Hühnereier, polierte Wandstücke, Gebrauchsbilder, Mailed Paintings, figurative Plastiken von real existieren­den Personen im Maßstab,  die Audiotour Zeigen, Obst- bzw. Gemüse-Wandstücke (Kitchen Pieces) und andere. Sie arbeitet mit der Zustandsveränderung von Vorgefundenem. Mit geringfügigen Eingriffen in die Situation legt sie deren materiellen Bedingungen offen, um eine minimale Differenz zwischen Alltäglichkeit und Kunst herbeizuführen. Sie arbeitet am  Nicht-Gesehehenen, am Übersehenen, an einer „Poesie der Latenz“ (Harald Welzer).

HINWEIS

Unter dem Titel ZEIGEN bietet die GFZK-Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig  eine besondere Audiotour an. Karin Sander hat andere Künstler, die in der Sammlung mit einem Werk vertreten sind, zu einem akustischen Beitrag eingeladen. Das Projekt basiert auf einer seit 2004 von der Künstlerin speziell für einen jeweiligen Ort zusammen getragenen, hörbaren Werksammlung, welche in verschiedenen Museen und Institutionen gezeigt wurde, u.a. in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, der Temporären Kunsthalle Berlin, im Museum Abteiberg Mönchengladbach, in der Nikolai Konsthall Kopenhagen und in der Kunsthalle Karlsruhe. In Leipzig sind die Namen der 150 beteiligten Künstler zusammen mit jeweils einer Kennzahl auf der weißen Wand des ansonsten leeren Ausstellungsraums. Wer die Ausstellung besucht, kann auf diese Weise eine akustische Galerie über einen Audioguide abrufen. Bis 18. Januar 2018. www.gfzk.de

Stichwort: Konzeptkunst

ist eine in den 1960er Jahren von Henry Flynt, einem USamerikanischen Künstler, geprägte Bezeichnung für die ursprünglich aus dem Minimalismus kommende Concept Art oder Conceptual Art, aus der sich dann unterschiedliche Kunstrichtungen wie Objektkunst oder Happening entwickelten. Bestimmend und den Begriff prägend ist der Gedanke (das Konzept, die Idee) für die Bedeutung eines Kunstwerks.

Die Ausführung des Kunstwerks ist von untergeordneter Bedeutung und muss nicht durch den Künstler selbst erfolgen. An Stelle fertiger Bilder und Skulpturen treten in diesem Sinne Skizzen, Schriftstücke, Anleitungstexte oder unter Umständen Dokumentationen, die eigene ästhetische Qualitäten entfalten, auf. Eines der Ziele ist die “Entmaterialisierung” des Kunstwerks und die Einbeziehung des Betrachters. Gewohnte Sichtweisen, Begriffe und Zusammenhänge der Welt werden hinterfragt, neue Regeln erfunden. Es wird mit Kontexten, Bedeutungen und Assoziationen gearbeitet.

Ein künstlerisches Vorbild dieser Bewegung war Marcel Duchamp. Er grenzte seine Kunst von „retinaler Kunst“ ab, die überwiegend (beispielsweise effekthascherisch) auf das Auge einwirkt, statt als Vorstellung oder Verknüpfung von Bedeutung im Denken zu wirken. Dieser Ansatz lässt Konzeptkunst dem Laien oftmals elitär, spröde, und schwer zugänglich erscheinen. Manches Werk der Konzeptkunst erschließt sich erst durch die Auseinandersetzung mit dem Künstler und seinem Denken.

Unterschiedlichste Strömungen der Avant-Garde der 1960er Jahre wie die Malerei von Robert Ryman, die Fotobücher von Ed Ruscha, die Skulptur von Carl Andre, Robert Morris oder Robert Smithson und auch Happening, Fluxus und Wiener Aktionismus waren unmittelbare und oft zum Verwechseln ähnliche Vorläufer des Konzeptualismus.

Theoretiker der Konzeptkunst sind Mel Bochner, Sol LeWitt, Art & Language, Joseph Kosuth und Victor Burgin. Auch durch den Einfluss von Kunstzeitschriften wie Artforum und Avalanche, Parachute, Flash Art, Art Press entstanden sehr bald in Amerika und Europa Gruppen von Konzeptualisten, die sich an New York orientierten und dennoch eigenständige regionale Zentren bildeten: in Nordamerika etwa San Francisco, Los Angeles, San Diego, Vancouver und Toronto.

Mel Bochners erste Ausstellung im Jahr 1966 „Working Drawings and Other Visible Things on Paper Not Necessarily Meant to Be Viewed as Art“ in der Galerie der School of Visual Arts in New York gilt als erste Ausstellung der Konzeptkunst-Bewegung. 1969 fand im Museum Morsbroich in Leverkusen die erste museale Konzeptkunst-Ausstellung in Deutschland statt, Kurator damals war der Düsseldorfer Maler Konrad Lueg, der als Konrad Fischer zum führenden Galeristen der Concept art werden sollte.

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