Voilá, die Weichen sind gestellt! Das dcocumenta-Institut wird kommen. Wem damit geholfen? was damit gewonnen? welche Zukunft gemeint ist? – Alles offen. Oder doch nicht ganz. In der Plenardebatte im Hessischen Landtag zum 60 jährigen Jubiläum der Kasseler „Weltkunstausstellung“ Ende Juni wollte sich Staatsminister Boris Rhein (CDU) nicht kleinlich zeigen. Er warf einen „documenta-bezogenen Forschungs,- Sammlungs- und Vermittlungsverbund“ in die Debatte. Ein alter Hut. Aber dann sprach er es aus, das erlösende Wort: „documenta-Institut“. Der Verbund nämlich soll „dann der Einstieg in ein documenta-Institut“ sein. Eine halbe Million Euro jährlich läßt sich der Minister für Wissenschaft und Kunst den Einstieg erst mal kosten. Ein Jubliläumsgeschenk der Extraklasse. Denn mit dem neuen Institut soll sich „die documenta verstetigen“. Wenn in fünf Jahren in Kassel wieder documenta-Jubiläum ist, im 65. Gründungsjahr soll es die 15. documenta geben, will Kassels Langzeit OB Bertram Hilgen (SPD) zum Spaten greifen: Spätestens dann will er den Grundstein zum Neubau eines documenta-Instituts legen.
Kernfrage aller Überlegungen ist es, ob und wieweit ein solch wissenschaftliches Institut der documenta-Idee und den tatsächlichen documentas aufhelfen kann. Wie müßte ein Institut arbeiten und ausgestattet werden, damit es den jeweiligen künstlerischen Leiter oder die Leiterin zu einer neuen überraschenden oder großartigen documenta befreit – und nicht einengt, bevormundet und mit historischem Material zuschüttet.
Seit sich die Kassler Großausstellung für zeitgenössische Kunst im Fünfjahresrhythmus 1955 etablierte, hört man das Lamento, daß Kassel zwischen den Documentajahren in einen „Dornröschenschlaf“ zurückfalle. Was hat man nicht alles unternommen, um dieser Mär, diesem Fluch der grimmschen Provinz zu entkommen! Da geht es Kassel nicht viel anders als den übrigen Festivalstädten. Die „Mozartstadt“ Salzburg etwa hat mit Mozart-Haus, Mozarteum, Mozart-Museum, Mozartdenkmal, Mozartkugeln vorgemacht, wie man die Lücken zwischen den Spielzeiten füllt.
Schon 1961 legte der legendäre Gründungsvater der Documenta, Arnold Bode, die Frage vor: “Ist die Fortsetzung der documenta notwendig? … ja, aber nur unter einer Bedingung, dass für die Vorbereitung ein Institut oder besser gesagt ein Archiv gegründet wird, denn beim dritten Mal kann man nicht wie bei den ersten beiden documenten die Vorbereitung so improvisieren, wie wir es beides mal tun mussten.“ Schon am 1. Juni 1961 wurde das documenta Archiv als städtische Einrichtung gegründet (seit September 2013 unter Leitung von Gerd Mörsch). Im selben Jahr, 1961, tritt das Land Hessen der documenta GmbH als zweiter Träger neben der Stadt bei (seit April 2014 ist Annette Kulenkampff Geschäftsführerin).
Basis für das neue documenta-Institut soll nun genau das documenta-Archiv bilden. Doch was daraus erwachsen soll – wie viele Säulen, welcher Tempel? – darüber gibt es bisher weit auseinander liegende Vorstellungen. Lückenfüller zwischen den documenta-Jahren, Allzeit-documenta, gar documenta-total? Tritt es in Konkurrenz zur gerade kürzlich erst um fünf Jahre „verstetigten“ und aufgewerteten „Documenta-Professur“ an der Kassler Kunsthochschule. Rheins Ministerium stellte dafür unlängst über eine Million Euro bereit. Bis Anfang 2016 soll ein neuer Professor berufen werden. Die Ausschreibung läuft. „Es war immer so gedacht, die wissenschaftliche Aufarbeitung an der Universität zu situieren – sinnvolle documenta-Forschung kann nur durch die Zusammenarbeit von documenta Archiv und Universität/Kunsthochschule passieren“, so jedenfalls die scheidende Documenta-Professorin Dorothea von Hantelmann.
Geschichtsträchtig kamen die Stadt Kassel und das Land Hessen am Eröffnungstag der ersten documenta, am 15. Juni 2015, überein, das documenta-Archivs in die documenta-GmbH zu überführen. Damit ist ein jahrelanger Streit, wem denn nun die Archivbestände gehören gelöst. Die 500.000 Euro Landesmittel lassen sich also als Abstandszahlung sehen. Minister Rhein macht die Rechnung auf: Die hessische Landesregierung unterstützt die documenta-GmbH in den Jahren 2014 bis 2018 mit insgesamt 10,3 Millionen Euro „und schafft so verlässliche Rahmenbedingungen für die documenta 14“.
Von Athen lernen
Die allerdings schert sich unter ihrem Leiter Adam Szymczyk wenig um documenta-Historie. Der junge polnische Kurator macht Kassel den exklusiven Platz als Documenta-Stadt gerade streitig. „Von Athen lernen“ ist der Arbeitstitel seiner documenta, die im April 2017 erst in Athen und danach im Juni 2017 in Kassel eröffnet wird. Während Szymczyk „deterritorialisieren“ will, möchte man in Kassel historisieren. Während die kommende documenta den „exklusiven Status Kassels aufbrechen“ will, strebt das neue documenta-Institut nach „Verstetigung“. Documenta total gegen Kassel ist überall.
So gibt es offenbar noch allerhand Klärungsbedarf, was ein documenta-Institut alles leisten kann und soll. Wie zu hören ist, hat sich da ein alter Stratege und intimer Kenner der Kassler Verhältnisse, Volker Rattemeyer, daran gemacht, eine Ideenskizze, oder ist es eine Denkschrift, gar ein Gutachten? zur Einrichtung eines documenta-Instituts vorzulegen. Anfang 2016 soll das Papier auf dem Tisch kommen. Auf alle Fälle, so ist zu erfahren, soll das d-I unter dem Dach der documenta-GmbH groß werden. Ob dann die Kunsthochschule mit der documenta-Professur überflüssig wird?
Auch greift Rattemeyers Schrift weit über die bisherigen Aufgaben des Archivs hinaus. Er spricht gerne vom „Weltunternehmen Documenta“. Es soll nicht nur ein aktuelles und voll digitalisiertes Medien-Archiv aufgebaut und die Nachlässe der Documenta-Künstler aktiv eingeworben werden. Ein weitreichendes dI soll auch den Diskurs über die weltweit entstandenen institutionellen Netzwerke anführen, sowie organisatorische und kuratorische Fragen der Großausstellungen der Kunst der Gegenwart mit ihren globalen Dimensionen angehen. Eine „Ausstellungsmacher-Schule“ schwebt ihm vor. Nachdem die Bemühungen, das bedeutende Archiv von Harry Szeemann (Ausstellungsmacher der documenta V) nach Kassel zu holen, gescheitert sind, will Rattemeyer die „positiven Abfallprodukte“ aller bisher 13. documenten nutzen und im neuen dI aufarbeiten. Die Kassler documenta sieht Rattemeyer als ein „einmaliges Monument der Zeitgenossenschaft in allen ihren Aspekten, Implikationen und Wirkkräften“. Folglich seien internationale Kooperationsverbünde aufzubauen, Kontakte zu Sammlern, Sponsoren, Künstlern und Stiftungen dauerhalt zu unterhalten. Zuletzt könnte es um einen „Master-Plan der Museumslandschaft Hessen-Kassel“ gehen. Rattemeyer, langjähriger wie erfolgreicher Museumschef des Kunstmuseums in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden, rät zu einem „konzeptuellen Sammeln von Documenta-Kunst“. Vor allen die gegenwärtige Konzeption der Neuen Galerie in Kassel sieht er als „Desaster“.
Ein Bundes documenta-Institut?
Das d-I müsse regional, national wie international zum Promotor der documenta-Idee werden. Folglich wird kein Weg daran vorbeiführen, den Bund ins Kassler Boot zu holen – als Gesellschafter wie auch finanziell. Monika Grütters ist gefragt. Wie zu hören ist, steht sie dem Kasseler Ansinnen offen gegenüber. Nur drängt die Zeit. Im Herbst 2017 sind Bundestagswahlen. Da will man weder in Kassel, noch in Berlin die Wählerentscheidung abwarten. Noch vor der Bundestagswahl soll gehandelt werden. Nach 2017 wird der Bundeskulturhaushalt ohnehin durch das Humboldt-Forum im neuen Berliner Stadtschloß arg strapaziert werden. Daher will man die Kassler documenta jetzt gegen Berliner Begehrlichkeiten stärken.